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Schlosswil - Wie am Märitstand die Zeit vergeht

Quelle
Berner Zeitung BZ

Rudolf Krähenbühl ist fast sein ganzes Leben lang Markthändler. Seit 1977 bietet er seine Lederwaren feil. Den Wandel der Zeit hat er so am eigenen Leib erfahren.

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Markthändler durch und durch: Rudolf Krähenbühl liebt seine Arbeit. Auch wenn das Märitleben in vierzig Jahren ein anderes geworden ist. (Bild: Daniel Fuchs)
Ein, Pardon, Sauwetter. Es regnet. Die Temperatur ist über Nacht um 10 Grad in den Keller gefallen. Es riecht nach gebratenen Würsten und Hamburgern, Volksmusik ist im Hintergrund zu hören. Rudolf Krähenbühl lächelt zufrieden.

Krähenbühl ist ein Mann, der liebt, was er tut. Das muss er auch. Seit vierzig Jahren ist er Markthändler. 150 Tage im Jahr steht er mit seinem Anhänger an den Märkten in und um Bern. Bei Wind und Wetter, bei guter und schlechter Laune, bei geradem oder schiefem Regen, bei Minustemperaturen, bei 35 Grad im Schatten. Vierzig Jahre lang hat er nur zwei Wochen Ferien pro Jahr gemacht. 2016 nahm er sich zum ersten Mal eine Auszeit von einem Monat und ist nach Skandinavien gereist. Heuer wird der Schlosswiler 60 Jahre alt.

Vertrauen ist wichtig

Seit 1977 präsentiert Krähenbühl seine Ware unter anderem in Langnau: Ledergürtel, -börsen, -taschen, Hosenträger, Edelweisshemden und Geschenkartikel. Dort hat Krähenbühl den Wandel der Zeit sozusagen am eigenen Leib erfahren und dabei, trotz dem Konsumwahn und Interneteinkäufen, die Liebe zu seiner Arbeit nicht verloren. Ja, die Welt ist eine andere geworden in all den Jahren. Auch an Orten, wo der Markt noch tief in der Bevölkerung verwurzelt sei, habe sich einiges verändert, sagt Krähenbühl. «Vor allem die Kundschaft.» Heute gilt Quantität vor Qualität. Das hat Krähenbühl gemerkt und darauf reagiert. Noch immer liegt teurere Schweizer Qualitätsware auf seinem Wagen. Daneben aber finden sich heute auch Billigprodukte, made in China, made in India. «Wichtig ist, dass die Kunden wissen, was sie kaufen, und das Vertrauen nicht verlieren», sagt er.

So richtig viel ist an diesem Tag nicht los. Kein Wunder, bei diesem Wetter. Sogar die hartgesottene Stammkundschaft, meist Landwirte aus der Umgebung, ist wohl lieber zu Hause geblieben. Auch das hat sich in den letzten vierzig Jahren geändert. Der Märit ist keine Notwendigkeit mehr. Dafür gibt es Grossverteiler. Man kommt nur noch zum Vergnügen an den Markt.

Der Schlosswiler erinnert sich noch gut – und gerne – daran, wie das war damals: «Ich war nie einfach nur Verkäufer», sagt er. «Als Markthändler bist du Pfarrer, Therapeut und Sozialarbeiter in einem.» Auch heute noch, aber vor allem früher. Krähenbühl denkt da vor allem an die Knechte, die von den umliegenden Höfen ins Dorf runterkamen, weil sie vom Bauer frei bekommen hatten. «Da schritten sie mit ihrem Rucksack über den Markt, und wenn man sie fragte, wie es ihnen gehe, erzählten sie.» Erzählten von der Arbeit, von Freud und Leid des harten Alltags, von Unfällen, Krankheiten, manchmal vom Tod der Ehefrau. «Jahrein, jahraus kamen sie zu mir, nicht um einen Gurt oder Hosenträger zu kaufen, sondern um von ihrem Leben zu berichten.»

Und manchmal, am Ende eines langen Märittages, kam es vor, dass seine Frau Sonja ihm den letzten Schluck Tee aus der Thermoskanne einschenkte und ihn fragte, ob er diesen oder jenen Knecht heute gesehen habe. Und wenn er verneinte, dann schwiegen die beiden kurz und nahmen gemeinsam still Abschied.

Die Fussstapfen des Vorbilds

Solche Geschichten sind der Grund, warum Rudolf Krähenbühl vierzig Jahre lang Markthändler blieb, obwohl er auch anderes vorgehabt hatte. Nach der Lehre zum Elektromonteur wollte er Lokführer werden. Bis man bei ihm an der Zulassungsprüfung eine Farbuntauglichkeit feststellte und sich sein Bubentraum so in Luft auflöste.

Zum Glück aber gab es Paul Schaffer, den Vater seiner damaligen Freundin. Ein hart arbeitender, eloquenter Mann, Vollblutmarkthändler und ein Vorbild für den jungen Krähenbühl. Schaffer nahm ihn ab Mai 1977 unter seine Fittiche. Nach einem Märittag im April 1981 rief ihn Schaffer zu sich und sagte: «Morgen holst du die Ware aus dem Lager.» Es war der Abend vor Schaffers 65. Geburtstag. «Ab morgen bin ich pensioniert. Jetzt übernimmst du.» Zwei Monate später trat Krähenbühl in die Fussstapfen seines Vorbilds und verliess sie nicht mehr. «Ich dachte, ich mache das so drei, vier Jahre lang», lacht er. Aber manchmal wird man zu dem, was man tut. Und Krähenbühl ist ein Markthändler durch und durch geworden. «Das ist kein Job für Aussteiger. Das muss man wollen. Mit Leib und Seele, sonst wird das nichts», sagt er. Treu müsse man sich bleiben, ehrlich müsse man sein, freundlich, pünktlich und zuverlässig. «Ich bin zwar mein eigener Chef, der Marktkalender aber gibt den Rhythmus vor.»

Von den Märite in Langnau etwa ist dem Schlosswiler jener im November am liebsten. Weil sich dann die Zeit zurückzudrehen scheint. Im November nämlich ist die Arbeit auf den Feldern getan, die Landwirte haben mehr Zeit, vielleicht auch etwas mehr Geld in den Taschen und kommen ins Dorf, um noch das eine oder andere für den Winter zu kaufen – fast so wie früher.

Autor:in
Martin Burkhalter, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 28.04.2017
Geändert: 28.04.2017
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