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Andreas Moser: "Ich ermahne die Lehrlinge immer, sie sollten nicht jufle"

Quelle
Der Bund

Seit der Lehre arbeitet Andreas Moser ununterbrochen für die Schreinerei Kilchenmann in Worb. Er hat viel Erfahrung mit heiklen Bauten – und ebensolchen Kunden.

Andreas Moser: Auf die Büez im Berner Morell-Haus ist der Schreiner besonders stolz. (Bild: Adrian Moser)

Andreas Moser arbeitet derzeit im Casino in Bern, wo er im Zug der Renovation auch eine wertvolle Spiegelwand wieder montiert hat. Res, wie der bald 65-Jährige genannt werden will, hat in der Schuttmulde die fehlenden Sprossen aufgespürt, die jemand voreilig entsorgt hatte. Bauen ist voller Überraschungen. Und auf dem Bau spricht man direkt, ohne zuvor einen Sprachleitfaden zu konsultieren. So sagt Moser von seinem Lehrling aus Angola, er sei «ein flotter Bursche, schwärzer als die Nacht». Auch dieser ist nicht zimperlich. Wenn Moser ihn heisst, dies und das zu holen, sagt der Lehrling grinsend: «Ich bin nicht dein Neger.»

 

Als Moser die Lehre begann, waren die Hierarchien steiler. Der 15-Jährige suchte den künftigen Patron auf, als dieser auf einer Leiter stand und Kirschen pflückte: «Kann ich bei euch lernen?» Otto Kilchenmann antwortete: «Ich habe schon von deinem Interesse gehört, ich komme dann mit dem Lehrvertrag vorbei.» Damals wurden junge Mitarbeiter geduzt, umgekehrt hiess es: «Herr Kilchenmann». Wenn Angestellte schwatzten und der Chef auftauchte, sagte dieser: «Habt ihr nichts zu tun?» Später bot der Patron das Du an, «als aus mir etwas geworden war».

 

Immer gern «geklüttert»

Moser stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Die Eltern hatten in Trimstein ein Bauerngütlein zur Pacht, bis ihnen gekündigt wurde. Dann kauften sie in Ried bei Worb ein Haus mit einem Tante-Emma-Laden. Heute ist es Mosers Zuhause. Sein Vater arbeitete als Dachdecker und versorgte zu Hause Schweine und Hühner. Vom Dach gefallen sei der Vater nie, aber zu Hause von der Estrichtreppe. «Danach hatte er nie mehr Migräne», sagt Moser trocken. Diese Krankheit plagte auch Sohn Res. Doch damals habe man es vermieden, sich krank zu melden. Als er trotz mehrmaligem Erbrechen auf dem Arbeitsweg in die Bude gekommen sei, habe ihn der Chef nach Hause geschickt. «Heute sind manche so empfindlich, dass sie sich abmelden, wenn sie sich nur etwas schlapp fühlen.»

 

Moser sagt, er habe zu Hause oft «gebastelt, geklüttert und genagelt», weshalb er Schreiner geworden sei wie sein Bruder. Gern hätte er sich selbstständig gemacht, doch das sei schwierig, wenn man nicht einen Familienbetrieb übernehmen könne. Zudem sei ihm klar geworden, dass er bei aller Liebe zum Beruf auch Zeit für Familie, Hockey, Hornussen und Grillieren haben wolle. Einmal habe er sich für eine Stelle beworben und den Vertrag schon in der Tasche gehabt, doch sein Bauchgefühl sagte Nein. «Die Firma ging später in Konkurs.»

 

Es gab gute Gründe, bei Kilchenmann zu bleiben. Putzte der frühere Patron in der Rezession der 1970er-Jahre noch Klinken, um das eine oder andere Aufträglein zu akquirieren, ist Kilchenmann heute eine Edel-Schreinerei (Kasten unten). Oft sind es Privatleute, die Aufträge vergeben. Dann wird Moser hingeschickt, weil er bei der gediegenen Kundschaft den richtigen Ton findet. «Ich spüre, wie die Kunden ticken.» Darum wisse er auch, wem er «ä schtrube Cheib» – einen Mitarbeiter mit Tätowierungen, Piercings oder schrill gefärbten Haaren – nicht zumuten könne. Wenn eine Kundin den Blick auf seine Schuhe richtet, weiss Moser, dass er sie ablegen muss. Manchmal werde man am Auftragsort auch ignoriert. Er habe erlebt, dass dort eine Kaffeerunde stattgefunden habe, doch den Handwerkern habe niemand auch nur ein Glas Wasser angeboten.

 

Für stabile Verhältnisse

Ein anspruchsvoller Auftrag ist das denkmalgeschützte Morell-Haus in der Berner Altstadt. Dort montierte Moser mit Kollegen ein historisches Wandtäfer ab. Darunter kamen Wandmalereien zum Vorschein, «bei denen die Historiker einen glücklichen Ausdruck auf dem Gesicht bekamen». Dann brannte es, es gab Wasserschäden vom Löschen, einiges wurde gerettet. Jetzt haben die Schreiner die getrockneten Elemente wieder montiert, ebenso die neu angefertigten.

 

Er möge stabile Verhältnisse, sagt Moser. «Gleicher Beruf, gleicher Arbeitgeber, gleiche Ehefrau, gleiche Feriendestination: Das passt mir.» Heute gelten andere Regeln: Man soll sich ständig weiterbilden, die Firma wechseln. Doch Moser ist beruflich nicht stehen geblieben. «Ich sage nie: Das habe ich immer so gemacht.» Schliesslich gebe es heute ganz andere Materialen. «Meine Weiterbildung ist die Erfahrung», hält er fest. Bei schwierigen Aufträgen komme ihm fast immer eine Idee, wie man das Problem lösen könne.

 

Moser hat noch alle Finger an der Hand, was früher bei Schreinern nicht selbstverständlich war. Man kennt die Witze, in denen ein Schreiner in der Beiz «Fünf Bier!» bestellt und mit seiner Hand unfreiwillig das Cornuto-Zeichen formt. Einmal habe er «gjuflet» und sich in einen Finger gefräst, sagt Moser. Zum Glück sei der Kunde Chirurg gewesen und habe alles sofort genäht. «Das war ein Warnschuss.» Darum sage er allen Lehrlingen, sie sollten sich lieber Zeit nehmen, als etwas zu riskieren. «Jufle lohnt sich nie.»

 

[i] Andreas Moser begann am 6. April 1970 die Lehre als Möbel- und Bauschreiner bei der damaligen Schreinerei G. und O. Kilchenmann in Worb mit 30 Franken Wochenlohn. Diesen Mittwoch geht er in Pension – nach fast 50 Jahren in der gleichen Firma. Das über 150-jährige Unternehmen heisst heute Schreiner Kilchenmann AG, beschäftigt etwa zwei Dutzend Mitarbeiter und ist spezialisiert auf besondere Aufträge und Massarbeiten, etwa in historischen und denkmalgeschützten Bauten. Kilchenmann fertigt auch edles Bad- und Küchenmobiliar, Böden und Fenster. (mdü)


Autor:in
Markus Dütschler, "Der Bund"
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Erstellt: 22.07.2019
Geändert: 22.07.2019
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