• Region

Asylunterkunft Grosshöchstetten: «Es sind Menschen wie wir»

Die Kollektivunterkunft im Neuhuspark Grosshöchstetten, die ab Januar bis zu 150 Geflüchtete beherbergen wird, gibt zu denken: Viele fragen sich, wie das mit der Sicherheit aussehen soll? Mit der medizinischen Versorgung, der Freizeitgestaltung und der Schulsituation? An einem Infoanlass wurden viele der Fragen beantwortet. Ob wohl alle beruhigt nach Hause zurückkehrten?

Martina Blaser vom SRK schilderte den Alltag in einer Unterkunft, Ex-Gemeindepräsident Fritz Kohler berichtete über Sumiswalds Erfahrungen. (Foto: cw/SRK)

Schon zum zweiten Mal innert einer Woche war die Aula des Schulhauses Schulgasse voll bis auf den letzten Platz: Nach der Info rund um die Energieversorgung fand diesmal ein Info-Anlass zur Kollektivunterkunft im Neuhuspark statt.

 

Ab 2025 sollen im Gebäudekomplex C, dem ehemaligen Bettenhaus, bis zu 150 asylsuchende Menschen untergebracht werden. Der Mietvertrag gilt für zehn Jahre. Und zahlreiche Einwohner:innen von Grosshöchstetten fragen sich mehr oder weniger bang: «Was kommt da auf uns zu?»

 

Warum gerade Grosshöchstetten?

Die Gemeinde habe sich zu diesem Schritt entschlossen, erklärte Gemeindepräsidentin Christine Hofer (EVP), weil jetzt mit dem Neuhuspark eine geeignete Unterkunft zur Verfügung stehe. Da die Flüchtlingszahlen steigen und die Gemeinden vermehrt in die Pflicht genommen werden, habe der Gemeinderat überlegt: «Wir wollen lieber eine sorgfältig vorbereitete Lösung bieten, bevor wir per Notrecht dazu gezwungen werden und eine Hauruckaktion starten müssen.»

 

Sie sei sich bewusst, dass die Situation eine Herausforderung für alle darstellen werde. «Aber ich bin überzeugt, dass wir das zusammen schaffen», appellierte sie an die Anwesenden. Für die vielen Fragen aus den Reihen der Bevölkerung standen ihr Fachleute aus dem Asylbereich zur Seite.

 

Alltag in einer Kollektivunterkunft

Martina Blaser, Leiterin Migration beim Schweizerischen Roten Kreuz SRK Kanton Bern, schilderte beispielsweise, wie man sich den Alltag in einer Kollektivunterkunft vorstellen kann: «Es ist eine Art grosse Wohngemeinschaft, deren Bewohner:innen gemeinsam kochen, putzen und einkaufen, und das SRK hilft, ihren Alltag zu organisieren und unterstützt sie in ihrer Tagesstruktur.»

 

Die asylsuchenden Menschen in der Unterkunft seien tagsüber mit Ämtlis beschäftigt, erklärte sie, und mit Sprachkursen, Schule oder Arztterminen. Täglich seien rund um die Uhr ein bis zwei Mitarbeitende des SRK vor Ort: «Sie führen Präsenzkontrollen durch und machen Kontrollrundgänge.» Sicherheitsdienst sei keiner vor Ort, weil es eben eher eine grosse offene Wohngemeinschaft sei, «aber wir haben ein Notfallmanagement».

 

Zum Beispiel Sumiswald

In Sumiswald funktioniere das jedenfalls ganz gut, erzählte Fritz Kohler, der ehemalige Gemeindepräsident von Sumiswald: Seit Februar 2023 leben im Forum Sumiswald bis zu 250 Asylsuchende. Auch in Sumiswald hätten sich die Leute im Vorfeld viele Gedanken gemacht, hätten etliche Unsicherheiten die Leute umgetrieben, sagte Kohler.

 

Aber schnell einmal habe man gesehen, dass sich die Kollektivunterkunft in den ganz normalen Alltag einfügte, und dass es sich bei den Asyluchenden um «durchaus angenehme und höfliche Menschen» handelt. Kurz: «Die Suppe wird selten so heiss gegessen, wie sie gekocht wird.»

 

Grosse Themen Bildung und Sicherheit

Dennoch habe sich gezeigt, dass die beiden Themen Bildung und Sicherheit für die Gemeinden zentral seien, erzählte Fritz Kohler. Aber auch diese hätten sich gut regeln lassen. «Bei Bildung kennen wir kein Pardon», erklärte er: Wenn die Kinder nicht richtig Deutsch können, würden sie einfach ein zweites Mal in einen Intensivkurs geschickt. «Und punkto Sicherheit haben wir keine Probleme.» Und damit meinte er keine, «auch nicht auf dem Weg zum Bus oder im Dorf».

 

Zu einer Unruhe sei es nur einmal gekommen, und zwar innerhalb der Unterkunft, in der die Asylsuchenden oft sehr eng aufeinander leben. Ansonsten müsse man bedenken: «Diese Leute wollen sich integrieren und ihren Status nicht riskieren.» Denn in die Kollektivunterkünfte, also auch in den Neuhuspark, kommen keine Leute mit einem abschlägigen Bescheid, sondern Personen, deren Asylverfahren läuft, oder solche mit dem Schutzstatus S.

 

Die Regierungsstatthalterin brachte das Mikrofon

Momentan seien das mehrheitlich Menschen aus der Ukraine, Afghanistan, Syrien und der Türkei, wie Christian Holdener vom Amt für Integration und Soziales erklärte. Und nein, die Gemeinde habe keinen Einfluss darauf, welche Nationalitäten ihrer Unterkunft zugeteilt würden.

 

Insgesamt kamen aber viele beruhigende Worte von allen Seiten. Sogar Regierungsstatthalterin Ladina Kirchen war persönlich erschienen, um den Abend als Moderatorin zu begleiten. Sie legte den Weg durch die Aula unzählige Mal zurück, um das Mikrofon für Fragen hinzuhalten: Auch in Grosshöchstetten drehten sich diese Fragen – wenig überraschend – um die Themen Sicherheit und Schule. Aber auch Fragen, wie sich der Dorfalltag verändern werde und wie die Gesundheitsversorgung gewährleistet werde, gaben zu reden.

 

«Sie räumen nicht Läden leer»

Punkto Sicherheit versprach Gemeindepräsidentin Christine Hofer, die Gemeinde werde in einer Besprechung mit dem Postenchef alle Fragen zusammen anschauen und allenfalls die Hundesecurity auf dem Gelände hochfahren. Peter Berger, Chef des Polizeibezirks Konolfingen, doppelte nach: In den Unterkünften in Konolfingen und Enggistein müsse tatsächlich ab und zu ein Polizeiauto vorfahren. Aber, ähnlich wie in Riggisberg und Sumiswald, ausschliesslich wegen Unruhen innerhalb des Zentrums, in dem die Leute eng zusammenleben, weshalb es tatsächlich mal zu Konflikten kommen könne.

 

Sogleich aber beruhigte er: «Ich möchte euch die Angst nehmen: Diese Menschen fluten nicht das Dorf und räumen Läden leer!» Viel eher seien sie in Gruppen am «schüttelen», oder sie spielen am Sonntagnachmittag Cricket. «Man wird sie sehen», fasste er zusammen. «Aber die Kriminalitätsrate wird nicht raufgehen wie wild.» Und vor allem: «Es sind Menschen wie wir auch.»

 

«Und die Sicherheit unserer Schweizer Kinder?»

Eine Mutter sorgte sich dennoch: «Vierjährige Kinder aus Schlosswil müssen 40 Minuten unbetreut im Schulhaus warten, weil kein Geld für einen zweiten Schulbus vorhanden ist.» Künftig sollen diese Kinder also dort warten, während junge Männer dort am Fussballspielen seien, und denen es langweilig sei: «Was also unternimmt die Gemeinde für die Sicherheit unserer Schweizer Kinder?» Sicherheit sei ein grosses Anliegen, versprach Gemeindepräsidentin Christine Hofer, und sie werde bei Problemen sofort entsprechende Massnahmen einleiten. «Ich möchte jedoch davor warnen, dass ihr jetzt alle denkt, diese jungen Männer wollen uns böse», betonte aber auch sie.

 

Trotzdem lautete eine Frage aus dem Saal: Warum es denn gleich 150 asylsuchende Menschen sein müssten, ob es nicht weniger sein könnten? Christine Hofer erklärte: «Wir haben uns auf 150 geeinigt, mehr verträgt die Gemeinde nicht.» Und: Sie sei sehr froh, dass der Kanton darauf eingetreten sei, «denn Platz hätte es für 300 Personen».

 

Für Deutsch-Intensivkurse ist gesorgt

Dementsprechend beruhigte Annette Brunner Bükim von der Kantonalen Bildungs- und Kulturdirektion jene, die sich vorgestellt hatten, dass die Schulklassen im Dorf von Scharen von Asylantenkindern geflutet werden: «Wir rechnen mit höchstens zehn Prozent Kindern», sagte sie. «Das wären im Fall Grosshöchstetten also zehn bis fünfzehn Kinder.»

 

Diese erhielten zunächst während einem halben Jahr Deutsch-Intensivkurse in Integrationsklassen, bevor sie schrittweise in die Regelschule integriert würden. «Für diese Deutschkurse entstehen der Gemeinde allerdings keine Kosten», erklärte sie: «Sie werden durch den Lastenausgleich des Bundes finanziert.»

 

Hausarztpraxen? Wo denn!

Die anwesenden Fachleute beantworteten auch Fragen nach Freizeitgestaltung, Ausstattung der Unterkunft und medizinischer Versorgung. Die Antwort, man werde die Neuangekommenen auf die Hausärzt:innen verteilen, löste allerdings im Saal verschiedentliches Prusten aus: «Wie denn, wenn wir ohnehin zu wenig Hausarztpraxen haben», war zu hören.  Aber mehr Protest wurde nicht laut.

 

Und die eine oder der andere schienen beim Thema Freiwilligenarbeit sogar interessiert aufzuhorchen: Nicht nur die Fachpersonen, sondern auch Teilnehmende aus dem Saal erzählten, wie wichtig die Freizeitgestaltung sei, und wie dadurch interessante Begegnungen ermöglicht würden. Man könnte doch eine Börse eröffnen für diese Leute, kam ein Vorschlag aus dem Publikum, damit sie Arbeitseinsätze leisten und dabei auch gleich ihr Deutsch verbessern können: «Das ergäbe ein Geben und Nehmen für beide Seiten.»

 

Wichtige Kontakte werden kommuniziert

Während die Zentrumsleitung noch nicht gewählt ist, steht nämlich bereits fest, wer für Freiwilligeneinsätze zuständig ist (siehe Hinweis unten). Auch eine Plattform mit allen wichtigen Informationen und Kontakten, versicherte Gemeindepräsidentin Christine Hofer, werde rechtzeitig aufgeschaltet. «Alle werden rechtzeitig gut informiert.»

 

Sie schaue der Herausforderung mit Respekt entgegen, schloss sie, aber sie hoffe, dass sich die Gemeinde darauf einlasse: «Wir werden Schwieriges erleben, aber auch Gefreutes. Und wir werden es gemeinsam schaffen.» Ob alle das so sehen, war am Ende des Abends nicht klar spürbar. Aber falls noch Widerstände bestanden, wurden sie nicht mehr laut geäussert, sondern still mit nach Hause getragen.

 

[i] Informationen rund um die Kollektivunterkunft Grosshöchstetten 

 

[i] Freiwillige können beispielsweise beim Sprachtraining helfen oder bei der Lehrstellensuche, oder sie können Aktivitäten rund um die Kollektivunterkunft anbieten oder ein Weiterbildungsangebot. Kontakt: Eliane Gérard, freiwillige-migration@srk-bern.ch


Autor:in
Claudia Weiss, claudia.weiss@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
Statistik

Erstellt: 23.05.2024
Geändert: 23.05.2024
Klicks heute:
Klicks total: