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Münsingen - So wird der Bahnhof blindengerecht
Den neuen Bahnhofplatz West in Münsingen sollen auch Blinde und Sehbehinderte nutzen können. Dafür traf sich an einem kalten Dezembertag die Projektleitung mit zwei Expertinnen. Das Fazit: Vieles wurde mitgedacht, aber der Teufel steckt im Detail.
Für André Poschung von der Münsinger Bauabteilung und Bauingenieur Martin Schmocker ist es das erste Mal, dass sie von einer Blinden über eine Baustelle geführt werden. Daniela Moser dagegen ist Profi. Sie ist praktisch blind und begleitet als Mitarbeiterin der nationalen „Interessenvertretung“ des Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverbands ab und zu Franziska Roggli, ebenfalls vom SBV, auf Baustellen. Um die Fragen der sehenden Bauleute zu beantworten, und um zu zeigen, wie sie sich mit ihrem weissen Stock orientiert.
"Fast zu gut gemeint"
Franziska Roggli sieht „normal“. Sie kann auf Plänen und auf der Baustelle zeigen, wo die Hindernisse sind. In Münsingen ist das Hauptproblem eines, das sich recht einfach beheben lässt. Die tastbaren Markierungslinien, die Blinden helfen sollen, mit dem Stock ihren Weg über den Platz zu finden, sind eingeplant, aber zu viel. „Es ist fast zu gut gemeint“, so Roggli. Sie zeigt den beiden Männern, wo die Linien am besten durchführen und wo es zusätzlich „Aufmerksamkeitsflächen“ braucht, die den Blinden etwa anzeigen, wo sie abzweigen oder die Strasse überqueren sollen.
Anderes kommt eher überraschend. Ein Schild, an dem man den Kopf anschlägt, wenn man mit dem Stock dem Randstein folgt. Ein provisorischer Pfosten, an dem der Stock einhängen und brechen könnte. Ein Treppengeländer, dem man mit der Hand nicht durchgehend folgen kann.
Komplizierte Normen
Falls diese Aufzählung den Eindruck erweckt, auf der Baustelle Bahnhof West, seien die Anliegen der Blinden vergessen gegangen, dann wäre das falsch. Denn um solche Details aufzudecken, wurde Roggli eingeladen. Um eine Anlage hindernisfrei zu bauen, gibt es gesetzliche Vorgaben, Normen, Vorschriften, denen Architekt:innen und Ingenieur:innen folgen müssen. Diese seien unheimlich kompliziert, sagt André Poschung Die Inputs der beiden Frauen sind deshalb willkommen und auch eine Absicherung für die Zukunft. Jetzt kann noch korrigiert werden, ohne dass Geld verloren geht. Auch Franziska Roggli ist zufrieden mit der Zusammenarbeit. „Vieles ist hier schon sehr gut.“
Die aufgedeckten Mängel würden sie jetzt aufnehmen und so gut wie möglich anpassen, sagt Projektleiter Poschung nach der Begehung. Nicht immer gibt es nur ein „richtig“. Zum Beispiel ist es für Menschen im Rollstuhl gut, wenn der Boden eben ist. Blinde dagegen nutzen Absätze oder Randsteine zur Orientierung. Mitreden wollen auch die Architekt:innen, die beteiligten Transportunternehmen, die Gemeinde, die Ästhetik spielt eine Rolle, die Übersichtlichkeit für die Busfahrer:innen, kurze Wege für alle.
Treppe in der Kritik
Mit Roggli wird es eine zweite Begehung geben, wenn der Platz „möbliert“ ist. Bis dann muss sich Poschung noch um ein weiteres Problem kümmern, das auch in einem Lesermail auf BERN-OST kritisiert wurde: Die Treppe zur Unterführung Nord ist nicht behindertengerecht. Die Rampe ist zu steil für Rollstühle oder Rollatoren. Wer die Treppe nicht überwinden kann, muss einen Umweg machen über die Unterführung Sägegasse. Unglücklich auch, dass genau dieser Zugang direkt beim neuen Altersheim Senevita liegt. Zuständig für die Treppe ist die Gemeinde, da die SBB diese Unterführung nach dem Bahnhofumbau nicht mehr braucht.
Die baubewilligte Treppe sei zwar konform mit den Bestimmungen, aber "nicht ideal für betagte oder gehbehinderte Menschen", räumt André Poschung ein. Als Sofortmassnahme habe die Gemeinde über die Festtage deshalb den neuen Hauptzugang zum Bahnhof, die Personenunterführung Mitte, provisorisch geöffnet. Zur Verbesserung der Situation würden nun alternative Massnahmen geprüft. Der Bahnhofplatz West, die Velostation und die neue Bushaltestelle "Dorfmatt" werden voraussichtlich im April fertig sein.
Erstellt:
10.01.2022
Geändert: 10.01.2022
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