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Deisswil - Ein Stück Geschichte wird abgerissen

Quelle
Der Bund

Auf dem Gelände der einstigen Karton Deisswil in Stettlen beisst sich derzeit ein Riesenbagger durch die alten Fabrikgebäude. Auch die 2000 Tonnen schwere und 100 Meter lange Maschine 6 wird zerlegt.

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René Rölli hat sich mit seinem 180 Tonnen schweren Bagger bereits einen Weg zur Maschine 6 gebahnt. (Bild: Adrian Moser)

Er sieht ein wenig aus wie ein hungriger Dinosaurier, der seine Zähne in Kürze in die wehrlose Beute schlagen wird. Die Rede ist vom 180 Tonnen schweren Spezialbagger, der derzeit auf dem Areal der ehemaligen Kartonfabrik Deisswil steht. In den kommenden Wochen wird sich das Monstrum regelrecht durch die alten Fabrikgebäude fressen, damit auf dem Bernapark, wie das Gelände heute heisst, Platz für Neues entsteht.


Als Erstes wird sich der Bagger an der Maschine 6 zu schaffen machen. Das 100 Meter lange und rund 2000 Tonnen schwere Ungetüm war das Prunkstück der Karton Deisswil. Nicht zuletzt ihrer Produktionskraft war es zu verdanken, dass jeden Tag bis zu 500 Tonnen Karton hergestellt und in alle Welt verkauft werden konnten. So effizient wie mit der Maschine Karton produziert wurde, so effizient wird Baggerführer René Rölli das Monstrum in den nächsten Wochen in seine Einzelteile zerlegen. Dafür benötigt er eine hydraulische Schere, die auch kleinste Armierungseisen abschneiden kann. Das Material – es handelt sich vorwiegend um Gusseisen, Kupfer und Stahl – wird sortiert und abtransportiert.


Noch steht die Maschine 6 auf ihrem angestammten Platz. Baggerfahrer Rölli hat aber bereits die Fassade der Halle 6 aufgebrochen und sich somit einen Weg zur Maschine gebahnt. Für ihn sei die Arbeit in Deisswil nicht aussergewöhnlich: «Ich mache das seit 20 Jahren.» Zudem sei die Ausgangslage im Bernapark «günstig», handle es sich doch bei der Halle und der Maschine 6 nicht um «heikle Bauten». Wenn er ein 50 Meter hohes Gebäude mitten in der Stadt abbreche, sei seine Anspannung deutlich grösser. Da müsse jeder Griff sitzen, schliesslich sollen Nachbarhäuser nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Hier im Bernapark könne er «eigentlich nichts kaputt machen».


Verkauf mehrmals gescheitert


Mit dem Abbruch der Kartonmaschine geht ein weiteres Kapitel Industriegeschichte im Worblental zu Ende. Lange hatten die Bernapark-Verantwortlichen versucht, die Kartonmaschine als Ganzes zu verkaufen. «Wir haben aber keinen Abnehmer gefunden», sagt Geschäftsführer Ivo Sonderegger. Mehrere Male sah es danach aus, als könnte es zu einem Vertragsabschluss kommen. So hatte eine indische Firma Interesse bekundet, die etwa 2,5 Millionen Franken teure Maschine zu übernehmen. Dies, nachdem sechs indische Ingenieure das Ungetüm während vier Wochen genauestens inspiziert hatten. Weil aber die Firma keine Bankgarantie gewähren konnte, kam es schliesslich nicht zum Verkauf. Später hiess es, dass die Maschine nach Belarus verkauft werden soll. Doch auch dieser Deal platzte. Einzelne Teile hätten aber verkauft werden können, sagt Sonderegger. So seien beispielsweise die Querschneider heute in Ägypten und in Indien im Einsatz. Andere Teile wurden nach Osteuropa, Nordafrika und in den asiatischen Raum verkauft. Nach der Maschine 6 sollen auf dem einstigen Fabrikgelände auch die Hallen 5 und 6 sowie das Holländergebäude abgerissen werden.


Letzteres wird als erhaltenswert eingestuft und hätte eigentlich stehen bleiben sollen, sagt Ivo Sonderegger. Da die Bausubstanz schlechter war als gedacht, wird das Gebäude, in dem früher eine grosse Walze namens Holländer stand, abgerissen. Auch die Tanklager auf Ostermundiger Boden werden nicht verschont. Nicht angerührt werden hingegen die Fabrikhallen entlang der RBS-Linie sowie der Kamin. Läuft alles nach Plan, werden die Abbrucharbeiten im November abgeschlossen sein.



Der Bernapark nimmt Form an


Von der Fabrik zum neuen Quartier


Die Stettler Bevölkerung stimmt voraussichtlich im Frühling 2015 über die Umzonung des Bernaparks ab.


Viereinhalb Jahre nach der Schliessung der ehemaligen Kartonfabrik Deisswil nehmen die Pläne für die künftige Nutzung des Areals konkrete Formen an: Der Unternehmer Hans-Ulrich Müller, der die Fabrik nach ihrer Schliessung übernommen hatte, will auf dem Areal bis 2035 ein neues Quartier schaffen. Ihm schwebt ein Gewerbe- und Dienstleistungspark vor, in dem bis zu 5000 Arbeitsplätze angesiedelt werden könnten. Zudem soll Wohnraum für bis zu 1500 Personen geschaffen werden.


Im Mai dieses Jahres hatte die Bevölkerung Stettlens die Möglichkeit, sich zu den Plänen zu äussern. Gemäss Ivo Sonderegger, Geschäftsführer Berna Industrie- und Dienstleistungspark AG, war das Feedback grösstenteils positiv. Es gebe ein paar «kleinere Punkte», die derzeit überarbeitet würden. So werde zum Beispiel die Höhe der geplanten Gebäude noch einmal überprüft. Ursprünglich schwebte dem Besitzer Hans-Ulrich Müller sogar der Bau eines Hochhauses vor, er verwarf die Idee jedoch, weil er mit Widerstand rechnete.


Damit auf dem Areal überhaupt Wohnraum geschaffen werden kann, bedarf es einer Anpassung des Zonenplans. Derzeit ist das Gelände als Gewerbe- und Industriezone eingetragen. Nach der Schliessung der Fabrik hatte der Kanton eingewilligt, die Ortsplanungsrevision für das ehemalige Fabrikareal zu sistieren. Nachdem die Mitwirkung nun abgeschlossen ist, findet voraussichtlich diesen Herbst die Vorprüfung durch den Kanton statt. Läuft alles nach Plan, wird die Stettler Bevölkerung bereits im Frühling 2015 über die Zonenplanänderung befinden.


Bernapark AG hat 120 Mieter


Nach der Schliessung der Kartonfabrik im April 2010 übernahm der Berner Unternehmer Hans-Ulrich Müller die Fabrik mitsamt den 253 Angestellten. Er gründete die Berner Industrie AG, kurz Bernapark. Sein Ziel war es, möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten und auf dem Areal Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe sowie Wohnungen zu bauen. Derzeit wird das Gelände zwischengenutzt. Insgesamt hat die Bernapark AG 120 Mieter, darunter 40 Firmen, die den Sitz in Stettlen haben.

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Erstellt: 30.08.2014
Geändert: 30.08.2014
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