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Enggistein - So bunt kann eine Schule sein

Quelle
Berner Zeitung BZ

Das Durchgangszentrum spielt eine Rolle, die therapeutische Wohngruppe auch. In Enggistein drücken Kinder mit vielfältigstem Hintergrund gemeinsam die Schulbank.

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Die Kinder in diesem Schulzimmer pflegen zu Hause ganz verschiedene Kulturen: Anna Barbara Liebe beim Unterricht in Enggistein. Bild: Susanne Keller
Sie heissen Stefan, Melanie und Nick, aber auch Katinka, Doaa und Taghreed. Es ist eine bunte Gesellschaft, die bereits im Foyer der Primarschule Enggistein von der Wand grüsst. 19 Kinder gehen hier ein und aus, besuchen im gemeinsamen Klassenzimmer das erste bis sechste Schuljahr. Die einen haben Schweizer Wurzeln, die andern deutsche, die dritten palästinensische. Entsprechend vielfältig sind die Kulturen, die sie daheim pflegen.

In diesen Tagen wäre die bunte Gesellschaft noch bunter geworden, wäre noch ein Kind aus noch einem Land zur Klasse gestossen. Im Deutschkurs für Fremdsprachige in Worb hat es sich bereits auf den Tag vorbereitet und dabei erste Kontakte zu den künftigen Gspänli geknüpft, von denen einige ebenfalls noch an ihrem Deutsch feilen. Aber eben: Vor sechs Wochen hat der Kanton das Durchgangszentrum Enggistein geschlossen und die betroffenen Asylbewerber umplatziert. Mit ihnen ist auch das künftige Schulkind aus dem Dorf weggezogen.

Auf spielerische Art

Mal mehr Kinder in der Klasse und mal weniger, und plötzlich bleibt ein angekündigter Zuzug aus – weil auch die Kinder von Asylbewerbern Anrecht auf Unterricht haben, gehören Schwankungen wie diese in Enggistein zum Alltag. Sie stören auch nicht weiter, wie die Klassenlehrerinnen Anna Barbara Liebe und Kathrin Schneider im Einklang mit Schulleiterin Katja Tobler versichern.

Dennoch kann es gerade für die Erwachsenen zu belastenden Situationen kommen. Zu gut ist den zwei Lehrerinnen der Wegzug eines Knaben im letzten Spätsommer in Erinnerung. Sie hatten mit den Kindern bereits Abschied gefeiert, doch überraschend stand der Kleine tags darauf wieder in der Schulstube. Eine Woche lang ging das noch so, «das war mühsam». Die Kinder reagierten in solchen Situationen weit gelassener, fahren die beiden fort. «Sie stellen zwar Fragen, doch wenn man ihnen die Sache erklärt, geben sie sich zufrieden.» Hilfreich sei da das gute Klima im Schulhaus, «wir pflegen einen familiären Ton.»

Beim Besuch vor Ort zeigt sich all das in der spielerischen Art, wie Anna Barbara Liebe die Klasse vorstellt. «Ihr seid das Vorbild, wenn wir schön Hochdeutsch reden wollen», sagt sie zu den vier deutschen Kindern. Und zu den drei palästinensischen: «Ihr habt von uns Deutsch gelernt, wir dagegen verstehen euer Arabisch nicht.» Über die drei ist die Zeit des Durchgangszentrums noch heute in der Klasse lebendig. Sie sind seinerzeit mit ihrer Familie als Asylbewerber ins Dorf gekommen und geblieben.

In ähnlicher Weise integrieren die zwei Lehrerinnen eine weitere Gruppe Kinder. Sie leben getrennt von ihren Familien in der nahen Wohngruppe Regenbogen, und sie haben nicht nur einfache Zeiten hinter sich. Drei sind es im Moment – im Dorf, betonen die zwei Lehrerinnen und die Leiterin, sei die derart zusammengewürfelte Klasse dennoch nie zum Thema geworden, im Gegenteil. «Die Eltern schätzen die Schule.»

Flexibel reagieren

Dass in Enggistein sechs Altersstufen in ein und demselben Zimmer sitzen, bezeichnen die drei bei alledem als Vorteil. So können sie ein Kind, das Probleme mit dem Stoff hat, flexibel auf einem angepassten, tieferen Niveau unterrichten. Ohne es gleich aus dem vertrauten Klassenverband herauszureissen.


Autor:in
Stephan Künzi / Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 16.03.2012
Geändert: 16.03.2012
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