- Wirtschaft
Chinesisch-Pionier Beat Zaugg: «Die Stammgäste sagten, sie kämen nie mehr»
Beat Zaugg (64) wirtete über 30 Jahre in seinem Elternhaus, dem Restaurant Worb Bahnhof, genannt «Reschteli». Nach Stationen unter anderem auf den Bermudas und im Casino Bern übernahm der Jungkoch 1992 den Betrieb der Eltern. BERN-OST hat er erzählt, wie er Gäste und Eltern von der chinesischen Küche überzeugte, warum er jetzt aufhört und wie es mit dem «Reschteli» weitergeht.
BERN-OST: Beat Zaugg, war das Restaurant Worb Bahnhof schon am Anfang ein chinesisches Restaurant?
Beat Zaugg: Nein, zuerst gab es zehn Jahre lang normale Schweizer Küche. Dann habe ich in Bern per Zufall eine Gruppe chinesischer Köche kennengelernt. Ich habe ihnen allen ein Bier bezahlt und mich zu ihnen gesetzt. Dann sagte einer von ihnen, Jeff Low, er möchte gerne Schweizer Küche lernen. Ich sagte: Gut, komm zu mir. So lernte er es zwar nicht offiziell, aber er hat bei uns Schweizer Küche gekocht. Schlussendlich wurde er mein Partner.
Eines Tages sagte er: «Hör Beat, wir kochen hier chinesisch.» Ich sagte: «Stopp, das geht nicht. Das gibt Aufruhr. Das akzeptieren meine Eltern und das Dorf nicht.» Doch in den Betriebsferien habe ich den Maler bestellt und der hat im einen Sääli mit 25 Plätzen die Wände gelb gestrichen und ihm einen chinesischen Touch gegeben. Wir holten aus Malaysia Lampen. Dann fingen wir an und vom ersten Tag an waren die 25 Plätze voll.
Aber die Stammgäste haben meinen Eltern gesagt: «Jetzt sagt Beat, dass der nicht chinesisch kochen soll.» Jeden Tag haben sie auf meine Eltern eingetrichtert. Ich war in der Küche und habe es nicht gehört. Meine Eltern waren zwischen Stühlen und Bänken. Sie dachten: «Was kocht jetzt der chinesisch?» Und die Stammgäste sagten: «I chume nie meh da ine cho frässe»
Ich höre es gerade!
Und zum Glück: Wir haben es durchgezogen und haben nach sechs Jahren einen zweiten Koch angestellt und erweitert mit einem zweiten Sääli. Nach weiteren sechs Jahren haben wir einen dritten Koch angestellt und noch die Gaststube dazu genommen. Es ging auf, wir hatten Erfolg.
Hatten Sie mit Ihren Eltern Probleme?
Indirekt. Mein Vater hat sicher zwei Jahre aus Trotz nie chinesisch gegessen. Doch dann gab es mal eine falsche Bestellung und das Essen kam zurück in die Küche. Mutter und Vater stellten es auf den Tisch und sagten, das ist gerade unser Znacht. Danach meinte der Vater, es sei sehr gut. Und wollte nur noch chinesisch essen.
Wie kam das bei Ihnen an?
Sehr gut, und er hatte natürlich auch Freude, weil wir Erfolg hatten. Es sind immer mehr Leute gekommen und alle haben gesagt, wie gut das sei und so wurde er schlussendlich auch noch stolz.
Sie hatten in all diesen Jahren immer Erfolg.
Ja, extrem. Ich will nicht bluffen, aber es ging immer hinauf, sogar in der Corona-Zeit. Wir haben so viel Take Away verkauft. Und mein Glück war, ich konnte den Leuten chinesische Küche bieten. Gerade ältere haben gesagt: «Beat, ich wäre nie in ein China-Restaurant gegangen. Danke, dass du mir gezeigt hast, wie gut das ist.» Am Anfang, wenn Ehepaare kamen, ass die Frau chinesisch und der Mann – ich bin zweispurig gefahren – nahm vielleicht noch sein Rahmschnitzel oder Entrecôte. Dann habe ich gesagt: «Jetzt probiert! wenn’s nicht gut ist, nehme ich es zurück.»
Geld zurück-Garantie sozusagen.
Ja, und die Gäste waren so dankbar, dass sie das probieren durften. Jetzt kommen die Grosseltern mit den Grosskindern zu uns essen. Die Grosseltern hätten sich das nie vorgestellt. Und ich habe am Mittag 80-, 90-jährige, die jeden Mittag chinesisch Essen kommen.
Und die Grosskinder essen auch chinesisch?
Ja, die haben noch früher angefangen.
Sie haben Mitte März aufgehört. Was ist der Grund?
Der Grund ist, dass ich sowieso nächstens pensioniert werde. Und nach fast 40 Jahren Wirten hat man es auch irgendwann gesehen. Ich habe bald genug und sehr ausschlaggebend war auch, dass der Kanton demjenigen unserer drei Köche, welcher der Nachfolger meines Partners sein sollte, die Bewilligung nicht mehr verlängert, weil er beim Deutschkurs durchgefallen ist. Und der muss nun ohne Wenn und Aber den Kanton Bern oder die Schweiz verlassen.
Jetzt bin ich aufgeschmissen. Jeff ist pensioniert, und der zweite Koch hat eine Hirnblutung und kann nicht mehr arbeiten. Also bin ich alleine. Ich habe geplant, in einem Jahr aufzuhören. Jetzt geht’s einfach ein bisschen schneller.
Und was haben Sie jetzt im Sinn?
Ich hatte viele Pläne, die ich nun alle auf Eis gelegt habe. Ich mache jetzt einfach mal nichts. Vielleicht schaue ich mich auf den Winter um. Die Tourismusbranche würde mich interessieren. Ich möchte schon noch etwas machen. Vielleicht komme ich hier helfen.
Es gibt auch viele andere Restaurants, die Hilfe brauchen können.
Ja, aber ich muss jetzt mal runterfahren.
Wenn Sie zurückschauen, erinnern Sie sich an schöne Sachen in all den Jahren?
Sicher. 99.9 Prozent war schön, schon alleine die Freundschaften. Wir haben Gäste zu Freunden gemacht. Das ist speziell. Ich hätte nie gedacht, dass das so kommt. Das haben wir auch in den letzten Wochen gesehen. Es war, als wäre jeden Tag Beerdigung. Alle haben sich verabschiedet, die Frauen vom Service haben jeden Tag nur noch geweint. Wir hatten wirklich eine schöne Zeit, weil es bei uns immer bergauf ging und wegen dem Verhältnis zu den Gästen. Obschon ich die ersten 20 Jahre in der Küche nicht so Gästekontakt hate. Zum Glück habe ich meine Gäste dann doch noch besser kennengelernt, weil ich abends nach vorne gekommen bin in den Service.
Gibt es auch negative Erinnerungen?
Klar. Alle dachten, ich hätte nur hier in das Haus reinsitzen können und das sei einfach. Aber wenn man so ein Haus übernimmt, hat man auch viele Kosten. Ich habe zum Beispiel das Flachdach erneuert, den Kochherd, die Fenster und Türen, die Heizung. Darum bin ich froh, wenn ich das Haus abgeben kann. Ich möchte keine Sorgen mehr.
Und jetzt haben Sie einen Nachfolger gefunden. Was glauben Sie, was wird sich ändern?
Die einzige Änderung ist, dass ich und mein ganzes Personal nicht mehr da sind und dass es nachher andere Gastgeber sind. Aber die kochen genau gleich.
Auch chinesisch?
Ja. Ich war schon in ihrem Restaurant. Ihr Restaurant sieht ähnlich aus. Es ist alles picobello und die Sympathie war auf beiden Seiten ab der ersten Sekunde da. Es ist eine Familie mit zwei erwachsenen Kinder. Es passt hier für eine Familie, es hat zwei Wohnungen. Sie können hier wohnen und arbeiten. Und sie wollen auch. Das ist schön. Für mich ist das das Beste, was mir passieren konnte.
Erstellt:
30.03.2023
Geändert: 04.04.2023
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