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Fall Vechigen: Wenn ein Güggel aus Nachbarn Streithähne macht

Quelle
Berner Zeitung BZ

Ein krähender Hahn kann eine Gemeindeverwaltung ganz schön auf Trab halten. Es müssen Begehungen organisiert, Gutachten eingeholt und Verfügungen geschrieben werden. Und am Schluss ist doch niemand richtig glücklich. Wie im Beispiel Vechigen.

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Das Ehepaar Esther und Peter Schneider daheim im Wintergarten. Rechts im Hintergrund ist der Hühnerstall des Nachbarn zu erkennen. (Bild: Beat Mathys)
Wenn Esther und Peter Schneider daheim im Wintergarten sitzen, ist die Idylle scheinbar perfekt. Ihr Haus steht am Dorfrand von Vechigen, sonnig, umgeben von viel Grün. In der Nähe plätschert friedlich der Vechigenbach. Und die Aussicht reicht vom Stockhorn über den Gantrisch bis zum Chasseral. Einzig das Kuhgebimmel von der Weide nebenan habe gestört, «vor allem nachts», sagt Esther Schneider. Auf ihre Bitte hin sei der Bauer aber bereit gewesen, den Kühen keine Glocken mehr anzuziehen. «Man kann ja schliesslich reden miteinander.»
 

Seit ein paar Monaten ist die Idylle um Schneiders Haus aber gestört. Wenn die 65-jährige ehemalige Krankenkassenspezialistin und der 75-jährige Film- und Tontechniker in ihrem Wintergarten sitzen, «wandert unser Blick automatisch dort hinüber». Zum kleinen Hühnerstall auf der Nachbarparzelle. Esther Schneider nimmt einen Schluck aus der Kaffeetasse und beginnt zu erzählen.

Zu nahe am Bach
 

Neben Schneiders Haus steht eine Schreinerei. Hinter dem Holzlager hatte einer der beiden Firmeninhaber einen Stall auf­gestellt, in dem rund ein halbes Dutzend Hühner und zwei Hähne heranwuchsen. Von morgens früh bis abends spät hätten die Hähne gekräht, erzählt Esther Schneider. Sie wollte den Nachbarn anrufen und mit ihm ­darüber reden. Weil er nicht erreichbar gewesen sei, habe sie eine E-Mail geschrieben. Die Antwort des Nachbars: Er werde Hühner und Güggel so oder so behalten. Das erzürnte das Ehepaar Schneider. Es schaltete die Gemeindeverwaltung ein.
 

Und siehe da: Die Abklärungen der Bauverwaltung ergaben, dass der Hühnerstall laut Gesetz zu nahe am Vechigenbach steht. Der Nachbar musste den Hühnerstall versetzen. Nun steht er etwas weiter vom Bach entfernt, dafür – Ironie der Geschichte – etwas näher bei Schneiders Haus. So ist ­alles rechtens.

Nur noch ein Hahn
 

Schneiders liessen nicht locker. Sie gelangten abermals an die Gemeinde, die einen Ortstermin mit der Lärmfachstelle der Kantonspolizei Bern organisierte. Dort näherten sich die beiden Parteien nicht an, es gab nicht einmal einen Händedruck zur Begrüssung. Dabei bestünde durchaus Grund zur Versöhnung: Denn mittlerweile sind kaum Hahnschreie mehr zu vernehmen. «Ja, im Moment ist es ruhig», bestätigt Peter Schneider. Im Sommer hat der Nachbar nämlich einen der beiden Hähne abgetan. Nicht wegen der Lärmbelastung, sondern weil sich der Machtkampf der beiden jungen Hähne negativ auf die Hühner ausgewirkt hat, wie der Besitzer erklärt.

«Da die Fachleute keine übermässige Lärmemission festgestellt haben, gibt es für die Gemeinde keinen Grund, etwas zu ändern», sagt Gemeindepräsident Walter Schilt (SVP). Will heissen: Die Hühner und der Hahn dürfen bleiben. Doch Schneiders trauen der Sache nicht. Sie befürchten, dass der Nachbar den Hahn nur vorübergehend ausgewechselt habe und wieder laute Hähne zulege, sobald der Schlussbericht der Gemeinde vorliege.

«Das ist absurd!»
 

Der Nachbar heisst Michael Ryser und stösst einen Seufzer ins Telefon. Der dreifache Familienvater erzählt: «Unser ältester Sohn ist ein grosser Tierfan.» Der Fünftklässler habe sich schon seit langem Haustiere gewünscht. Schliesslich habe sich die Familie auf Hühner geeinigt. Von den Bibeli hätten sich zwei als Hähne entpuppt; «uns war klar, dass wir nur einen von ihnen behalten können, wenn sie ausgewachsen sind». Dass das Halten von Hühnern und Hähnen in dieser ländlichen Umgebung jemanden stören könnte, «wäre uns nie in den Sinn gekommen». Ausser Schneiders habe denn auch niemand reklamiert.
 

«Als mir das Ehepaar Schneider ein saublödes Mail schrieb, habe ich halt etwas schroff zurückgeschrieben», sagt Michael Ryser. «Das war vielleicht ein Fehler.» Dass die Nachbarn aus einem so kleinen Problem aber eine so grosse Sache machten, «das verstehe ich nicht». Und die Aussage, dass er den lauten Hahn vorübergehend durch einen leisen ersetzt habe, sei absurd. «Warum sollten wir so etwas tun?»

Versöhnung?

Jemand, der sich durch nachbarschaftlichen Lärm gestört fühlt – solche Geschichten gibt es zu Hunderten, wahrscheinlich zu Tausenden. Vor kurzem sorgte ein ähnlicher Fall aus dem Kanton Zürich für Schlagzeilen (siehe unten). «Sie glauben nicht, wie viel Arbeitszeit unserer Verwaltung durch solche Fälle absorbiert wird», sagt der Vechiger Gemeindepräsident Walter Schilt. An der Gemeindeversammlung letzte Woche rief er deshalb öffentlich zu mehr Gelassenheit auf. Er meint damit nicht nur den Güggelfall, sondern macht sich ganz allgemein Gedanken. Es sei doch gescheiter, sich zu fragen: Lohnt es sich wirklich, wegen eines verhältnismässig kleinen Ärgers einen Streit zu beginnen? Ist es nicht wichtiger, dankbar zu sein für das, was man hat? Gesundheit zum Beispiel.
 

«Weihnachten», sagt Walter Schilt, «wäre doch eine gute ­Gelegenheit, sich zu versöhnen.»

[i] Lärmdiskussionen: «Mehr Toleranz auf dem Land»

Krähende Hähne sorgen oft für Zwist unter Nachbarn. Die Gerichte entscheiden häufig ähnlich: Ein Hahn darf bleiben, er darf morgens aber nicht zu früh aus dem Stall.

Erst kürzlich machte ein Fall aus dem Kanton Zürich Schlagzeilen. Zwei Bewohner eines Einfamilienhausquartiers wehrten sich gegen den Hühnerstall des Nachbarn, weil sie durch das Gekrähe des Hahns geweckt werden. Ihre Forderung: Die Tiere sollen werktags von 19 bis 9 Uhr im Hühnerhaus bleiben, an Wochenenden gar von 18 bis 11 Uhr. Das Baurekursgericht des Kantons ­Zürich hielt darauf fest: «Das Krähen eines Hahns wird vom menschlichen Ohr als relativ intensiv empfunden.» Die Forderungen der lärmgeplagten Kläger gingen aber zu weit. Das Gericht entschied, dass die Tiere ab 22 Uhr im Stall bleiben müssen. Morgens dürfen sie ab 7 Uhr und an Wochenenden ab 8 Uhr ins Freie.

Immer wieder werden ähnliche Fälle publik. Manchmal, zum Beispiel im aargauischen Schlossrued, gründen Anwohner sogar eine Interessengemeinschaft, um gegen den Güggellärm zu kämpfen.

Müssen Gerichte über solche Streiterein entscheiden, stützen sie sich oft auf ein Bundesgerichtsurteil von 1996. Damals erklärten die höchsten Richter: «Das hobbymässige Interesse am Halten eines Hahns tritt gegenüber dem Interesse an ungestörter Nachtruhe stark in den Hintergrund.» Einem Paar wurde deshalb verboten, seinen Hahn nachts von 22 Uhr bis morgens um 7 Uhr aus dem Hühnerstall zu lassen.

«Ein guter Hahn muss laut krähen, um sein Territorium abzugrenzen», schrieb Hansuli Huber vom Schweizer Tierschutz in einer Stellungnahme an die Baudirektion des Kantons Zürich. Die Herde mit dem Hahn morgens erst um 8 Uhr ins Freie zu lassen, sei eine Option – falls der Stall geräumig sei. Fritz Blaser vom Zürcher Hauseigentümerverband gibt zu bedenken: In Wohnzonen würden Hähne während der Ruhezeiten in geschlossene Ställe gehören. In ländlichen Gebieten sei «die Toleranzgrenze in der Regel etwas höher».


Autor:in
Markus Zahno, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 08.12.2017
Geändert: 11.12.2017
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