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Vechiger Finanzskandal: Viele offene Fragen
Sechs Wochen nach dem Vechiger Finanzskandal stellte sich Gemeindepräsidentin Sibylle Schwegler an der Gemeindeversammlung den Fragen der Stimmbürger:innen. Viele Fragen blieben dabei noch offen: Was sind die (finanziellen) Folgen für die Gemeinde? Und: Wer alles ist verantwortlich?
An die Gemeindeversammlung von Vechigen kamen 224 Stimmberechtigte. Mit im Saalprovisorium der Schule Boll: Ein grosser Elefant. "Das Thema" werde an dem Abend ebenfalls behandelt, kündigte Versammlungspräsident Hans Zoss an. Gemeindepräsidentin Sibylle Schwegler-Messerli (SVP) machte sie dann noch vor der Präsentation der Jahresrechnung 2021 daran, den aktuellen Stand im Vechiger Finanzskandal zu berichten.
"Schweigen ist Gold wert"
"Schweigen ist zurzeit Gold wert", fing Sibylle Schwegler ihre Ausführungen an. Sie könne deshalb nur die gesicherten Fakten berichten. Vermutungen zu äussern, könnte der Gemeinde im laufenden Verfahren schaden.
Anfang Mai war bekannt geworden, dass der Leiter der Finanzverwaltung von Vechigen Geld veruntreut hatte. Mit den gefälschten Unterschriften von Schwegler und Gemeindeschreiber Beat Brunner hatte er im Namen der Gemeinde bei der Nachbargemeinde Ittigen einen Kredit über 4 Millionen erschlichen und das Geld nach eigenen Angaben an der Börse verspielt.
Der Finanzverwalter gab den Sachverhalt zu und auch, dass das nicht alles war. Zuerst gegenüber dem Gemeindeschreiber, danach auch im grösseren Kreis mit unter anderen ihr selber, so Schwegler. Auch zu BERN-OST sagte der Finanzverwalter, er habe während 20 Jahren Geld veruntreut und den Schaden mit immer neuen Krediten vertuscht. Er wurde fristlos entlassen und angezeigt.
Am ersten BEA-Tag gings los
Die gefälschten Unterschriften wurden laut Schwegler am Samstag, dem 28, "am Eröffnungstag der BEA" entdeckt. Am Samstag habe der Gemeinderat alle nötigen Behörden informiert. Am Montag informierte er mittels Medienmitteilung die Öffentlichkeit.
Bevor Hans Zoss die Fragerunde eröffnete, nahm Schwegler einen Punkt vorweg. Sie wehrte sich gegen den Vorwurf, die Gemeinde wolle den Skandal totschweigen, und habe ihn deshalb im Mitteilungsblatt zur Gemeindeversammlung nicht erwähnt. Das Blatt brauche viel Vorlauf und sei zu dem Zeitpunkt schon in Druck gewesen. Um die Bevölkerung rasch zu informieren, habe man deshalb den Weg über die Medien gewählt, so Schwegler. Danach stellte sie sich den Fragen.
Ist das Geld weg?
Der Finanzverwalter hatte sich die vier Millionen auf ein nicht mehr benutztes Konto des schon länger aufgelösten Wasserverbunds Vechigen-Stettlen (Wavest) zahlen lassen. Ein Bürger fragte, ob von dem Geld noch etwas übrig sei. Die etwas überraschende Antwort von Schwegler: Man wisse es nicht, da die Gemeinde keinen Zugang habe zum Konto. Der Finanzverwalter habe gesagt, es sei nichts mehr da.
Ein weiterer Bürger wollte wissen, warum das Konto des aufgelösten Wavest überhaupt noch existiere. Genau das wolle man auch wissen, so Schwegler. Das sei Teil der Ermittlungen.
Was, wenn Vechigen zahlen muss?
Mehrere Fragen betrafen die Auswirkungen auf die Gemeindefinanzen. Wie der Gemeinderat vorsorge, was der Plan sei für den Fall, dass ein Teil der Schuld an Vechigen hängen bleibe. Werden Rückstellungen gemacht? In zehn Jahren, so lange könnte es dauern, bis der Fall geklärt ist, seien die heutigen Gemeinderät:innen nicht mehr im Amt. "Wir dürfen die Schuld nicht an die nächste Generation übergeben", sagte ein Bürger.
Eine Bürgerin forderte konkret, dass man die drohenden Kosten in die Finanzplanung aufnehmen soll. "Wir sollten so rechnen, wie wenn das Geld verloren wäre." Mehrere Redner:innen forderten den Gemeinderat auf, vorausschauend Rückstellungen zu machen. Dazu sagte Schwegler, dass die Situation und neue Erkenntnisse dazu sicher in die Finanzplanung einfliessen werden. "Auch wenn noch nicht klar ist, wie genau."
Wer hatte die Aufsicht?
An seiner nächsten Sitzung am 23. Juni will der Gemeinderat einen Ausschuss gründen, der für den Fall zuständig ist. Hier wollte ein Bürger wissen, wie dieser zusammengesetzt sei. "Es gibt in den Behörden Leute, die eine Aufsichtspflicht hatten. Im Ausschuss dürfen nicht die gleichen sein."
Ähnliches äusserte eine andere Rednerin: "Es kann doch nicht sein, dass da nie jemand etwas kontrolliert hat. Ich möchte, dass die, die das hätten tun müssen, auch Verantwortung übernehmen." Dafür erhielt sie Applaus. "Das alles ist Teil der Abklärungen", so Schwegler. Man werde schauen, ob es ausser dem Finanzverwalter Mitschuldige gab.
Was alles ist in 20 Jahren passiert?
Viele Fragen blieben offen: Was alles war in den erwähnten 20 Jahren geschehen, die dem aufgedeckten Fall vorangingen? Wie war es möglich, dass der Finanzverwalter an der Börse nur immer verlor und verlor, obwohl doch die Kurse steigen und sinken? Wie lange wird es dauern, bis alles geklärt ist? Was sind die Folgen für die Gemeinde? Und: Wie konnte so etwas passieren?
Insgesamt wirkten die Anwesenden sechs Wochen nach dem Skandal ein wenig ratlos. Man ist besorgt, was da noch kommen mag, enttäuscht, vielleicht vom Beschuldigten, vielleicht auch von der Politik. Deutlich wurde der Wille, den Schaden für kommende Generationen klein zu halten, als Gemeinschaft zu tun, was zu tun ist und für allfällige Schulden geradezustehen.
Die Abklärungen würden Zeit brauchen, das Verfahren – zuerst strafrechtlich, danach zivilrechtlich – könne bis zu zehn Jahre dauern, so Gemeindepräsidentin Schwegler. Sie versprach aber, zu informieren, sobald sie mehr wisse und sagen könne.
[i] Die Beschlüsse:
1. Rechnung 2021; Genehmigung
Die Rechnung wurde mit zwei Gegenstimmen grossmehrheitlich genehmigt.
2. Sanierung Wasserversorgungsleitung Moosgasse; Kreditgenehmigung
Der Kredit über 256'000 Franken für die Sanierung wurde grossmehrheitlich genehmigt.
[i] Zum Mitteilungsblatt und zur ausführlichen Rechnung auf der Website der Gemeinde Vechigen
Erstellt:
10.06.2022
Geändert: 10.06.2022
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