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Hoftötung: Mit Respekt für das Tier

Der Bolzenschuss sass, das Kalb sackte bewusstlos zusammen. Die Mutterkuh zuckte nicht einmal, sondern frass ruhig weiter: Erstmals kam auf dem Dorni-Hof in Walkringen ein neues System zur Hoftötung zum Einsatz. Es bedeutet vor allem noch weniger Stress für die Tiere. BERN-OST liess sich den Ablauf zeigen.

Bauer Kilian Zürcher mit der speziellen Box, die er eigens für die noch stressfreiere Hoftötung konstruiert hat. (Fotos: Claudia Weiss)
Die Kühe im Laufhof schauen interessiert, kauen aber ruhig weiter.
Mit diesem Hebekran wurde das mit dem Bolzenschuss betäubte Kalb hochgezogen.
Mischa Hofer führt seit drei Jahren Hoftötungen durch. Jetzt auf dem Dorni-Hof erstmals mit dem neuen System.
Amtstierärztin Ursula Witschi und ihr Kollege Ahmet Candi (2. und 3. von links) beobachteten den Vorgang minutiös. Im Vordergrund der neue kleine Anhänger.

Die Kühe im Laufhof schauen interessiert durch das Gitter und käuen vor sich hin. Weiter hinten im grossen Laufstall tun sich die anderen Kühe am frischen Futter gütlich. Nichts deutet darauf hin, dass vor einer halben Stunde auf dem Dorni-Hof von Kilian und Tanja Zürcher ein Kalb getötet worden ist. Und zwar erstmals mit einem neuen Hoftötungssystem.

 

«Grossartig», kommentiert Zürcher das neue System. «So läuft das Ganze noch viel stressfreier ab als bisher.» Es ist bereits seine zwölfte Hoftötung. Hofmetzger Mischa Hofer führt seit drei Jahren als erster in der Schweiz professionelle Hoftötungen durch. Diesmal ist aber Hofer nicht mit der mobilen Schlachteinheit vorgefahren, in der die Tiere ausgeblutet werden. Sondern mit seinem neuen, viel mobileren Anhänger.

 

Neues, wendigeres System

Als die Hoftötung im Juli 2020 in der Schweiz nicht nur für den Eigengebrauch, sondern auch für den Verkauf erlaubt wurde, stand Hofer in den Startlöchern: «Ich hatte bereits eine Schlachteinheit mit Fangplattform angeschafft – quasi den Rolls Royce in Sachen Hoftötungssystem», sagt er. «Daher konnte ich sofort loslegen.» Bei diesem System werden die Tiere zum Töten auf eine Plattform geführt und damit zum Ausbluten in den Anhänger gezogen.

 

Heute steht Hofer pünktlich zur nächsten Neuerung mit einem wendigeren System bereit. Dieses erlaubt auch die Zufahrt zu schlecht erschlossenen Bergbauernhöfen. Das macht Sinn, denn auf den 1. Februar 2024 wurde eine entscheidende Frist verlängert: Bisher blieben nur 45 Minuten vom Moment des tödlichen Bruststichs bis zur Ablieferung in der Metzgerei. Ab sofort sind es 90 Minuten, also doppelt so lang. «Genug Zeit auch für Bauern auf abgelegenen Höfen», erklärt Hofer.

 

Auch ohne Zeitdruck: «Bin begeistert»

Auf dem Dornihof in Walkringen gibt es kein Zeitproblem: Das tote Kalb ist bereits auf dem Weg in die Metzgerei Gygax in Lützelflüh, Mischa Hofer kann es locker innert einer Viertelstunde abliefern. In der Metzgerei wird es halbiert und bleibt dann eine Woche lang dort zum Abhängen. Später wird sich Tanja Zürcher  um die Fleischverteilung kümmern und gemischte Pakete für ihre Kund:innen zusammenstellen.

 

Obwohl er auf seinem Hof keinen Zeitdruck hat, ist Kilian Zürcher dennoch begeistert: Der Ablauf stimmt so für ihn noch besser. «Das Tierwohl liegt mir sehr am Herzen», erklärt der Bauer. Seine Frau Tanja nickt und ergänzt: «Unseren Tieren soll es gut gehen.» Und zwar nicht nur in den zehn Monaten im Laufstall oder auf der Weide, sondern bis zum Schluss: «Sie sollen stressfrei sterben dürfen.»

 

Grosser Aufwand für viel Tierwohl

Dafür betreibt Zürcher einen grossen Aufwand: Schon einen Monat vor dem Schlachttermin übt er mit dem Schlachtkalb, er nennt es «Beef», indem er es zweimal täglich zusammen mit seiner Mutter zu einer eigens konstruierten Box führt. Dort befestigt er die beiden in der Halterung und lässt sie in Ruhe fressen. So gewöhnen sie sich ganz selbstverständlich an die Einrichtung.

 

Am Schlachttag hat er die beiden ruhig zur Box geführt, wie jeden Tag im letzten Monat, und ihnen frisches Futter eingefüllt. Als Mischa Hofer mit dem kleinen Anhänger vorfuhr, waren die Mutterkuh und ihr Kalb schon gemütlich am Fressen. Sie liessen sich auch von Amtstierärztin Ursula Witschi und ihrem Kollegen Ahmet Candi nicht irritieren: Die beiden, im kantonalen Amt für Veterinärwesen für Fleischhygiene und Inspektionen zuständig, haben den Schlachtprozess beobachtet.

 

«Innovativ und gut überlegt»

«Voll professionell», kommentiert Ursula Witschi später den Vorgang. Das sei nicht selbstverständlich und müsse für jeden Hof separat überprüft werden: «Der Ablauf hängt sehr von jedem einzelnen Tierhalter ab.» Ihr Stellvertreter Ahmet Candi lobt sogar, das sei die «De-Luxe-Version» von Einrichtung: «Innovativ, gut überlegt und professionell.»

 

Tatsächlich hat Bauer Kilian Zürcher viel investiert und neben der Box einen schwenkbaren Lastenkran installiert. Er nimmt sich Zeit für seine Tiere, ebenso wie Hofmetzger Hofer, der sich unaufgeregt dem Kalb nähert. Dann wartet er eine Weile und beobachtet. «Ich rechne genug Zeit ein, kommuniziere mit den Tieren und spüre ihre Stimmung», erklärt er. Wenn er das Gefühl hat, der Zeitpunkt passe, stellt er sich neben das Kalb und setzt den Bolzen zum Betäubungsschuss an.

 

Zeitstress nur beim Herzstich

Kilian Zürcher ist sehr zufrieden, wie alles abgelaufen ist: «Die Mutterkuh zuckte nicht einmal, sondern frass ruhig weiter.» Der Bolzenschuss sass, das Kalb sackte bewusstlos zusammen. Damit kam für ihn und den Hofmetzger der einzige stressige Moment: Genau eine Minute Zeit bleibt ihnen nach dem Betäubungsschuss, um das Kalb mit der Schlinge an den Füssen hochzuziehen, damit Hofer rasch den Herzstich ausführen kann. Das Blut fängt Zürcher mit einem Plastikfass auf, es darf nicht einfach in den Boden fliessen.

 

Anschliessend wird das tote Kalb mit dem Kran auf den vorbereiteten Anhänger gehievt, fachmännisch befestigt und zugedeckt und in die Metzgerei transportiert. Für Kilian Zürcher ein idealer Ablauf: «Für das Kalb entfällt sogar der Stress, auf eine ungewohnte Plattform steigen zu müssen, was alles entspannter macht.»

 

Riskanter, teurer, dafür stressfrei

Auch Hofmetzger Mischa Hofer ist zufrieden mit der Premiere seines neuen Kleinanhängers. Damit kann er wie mit dem grossen Anhänger Rinder, Schweine, Ziegen und Schafe auf dem Hof töten. Dank der neuen Fristen künftig auch auf seinem eigenen Betrieb auf der Rigi. Er schmunzelt: «Statt mit einem De-Luxe-Kran wie hier werde ich die Tiere mit einem Bagger auf den Anhänger heben müssen.»

 

Der Nachteil des neuen Systems sei, dass der Moment des Herzstichs für Hofer riskanter ist: «Sollte die Schlinge reissen, landet im schlimmsten Fall ein anderthalb Tonnen schwerer Muni auf mir.» Kein erhebender Gedanke. Für den Bauern bedeutet Hoftötung immer: Es kostet mehr. Allerdings sei die abgespeckte Variante, bei der die Bauern mehr selbst einrichten müssen, wiederum ein bisschen preiswerter.

 

Und gleichzeitig sind die Vorteile vielleicht nicht finanziell messbar, aber ethisch: Weniger Stress und mehr Tierwohl für die Kälber. Für Kilian Zürcher ist daher klar: «Ich bleibe bei dieser Methode.»

 

[i] Vergleichende Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL:

Eine Studie des Forschungsinstituts unter dem Titel «Hoftötung ‒ weniger Stress, mehr Tierwohl» zeigt klar, wie vorteilhaft sich Hoftötungen auf das Tierwohl auswirken. Einige Auszüge daraus:

 

«Die Gehalte der stressanzeigenden Parameter Cortisol, Lactat und Glucose im Blut von im Schlachthof geschlachteten Tieren waren signifikant höher als die Gehalte der auf dem Hof getöteten Tiere. Der Cortisolgehalt ‒ das wichtigste Merkmal zur Messung von physiologischem Stress ‒ lag im Schnitt im Schlachthof zwanzigmal höher als bei den Hoftötungen.» 

 

«Ruhiges Verhalten unmittelbar vor dem Betäuben kam nur bei Hoftötungen vor, unruhiges und nervöses Verhalten kamen im Schlachthof mehr als doppelt so oft vor wie bei Hoftötungen.»

 

«Stress vor der Schlachtung kann auch zu verminderter Fleischqualität führen. Der Zusammenhang von Fleischqualität und Stress ist durch viele Studien belegt.»

 

Hier finden Sie Informationen zum stressfrei geschlachteten Fleisch vom Hof: www.dorni-hof.ch


Autor:in
Claudia Weiss, claudia.weiss@bern-ost.ch
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Erstellt: 01.02.2024
Geändert: 02.02.2024
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