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Isabelle Kölbl aus Grosshöchstetten: "Ich muss für die Männer meine Hand ins Feuer legen können"

Quelle
Berner Zeitung BZ

Sexualität bei Menschen mit Behinderung ist ein Tabu. Isabelle Kölbl will dem entgegenwirken. Seit 14 Jahren vermittelt sie sexuelle Dienstleistungen für sie. Laszlo und Vroni haben sich auf diesem Weg kennen gelernt.

(Bild: Berner Zeitung BZ)

Laszlo und Vroni schauen sich an. "Erzähl doch mal", ermuntert er sie. Vroni fasst Mut und erzählt. Sie spricht über gescheiterte Beziehungen, enttäuschende Erfahrungen auf Kontaktbörsen und die Angst, Männern nicht gerecht zu werden.

 

Seit ihrer Geburt leidet Vroni an einer Krankheit, die vor 21 Jahren eine Rückenoperation nötig machte. Seither sitzt sie im Rollstuhl. Kennen gelernt hat sie Laszlo schliesslich durch Sexcare – einen Dienst, der Menschen mit körperlicher oder seelischer Behinderung in Kontakt mit Sexualbegleitern bringt. Ihren vollen Namen möchten die beiden nicht in der Zeitung lesen. 

 

Gegründet hat Sexcare die ausgebildete Sexualbegleiterin Isabelle Kölbl aus Grosshöchstetten. Sie bildet zudem Sexualbegleiterinnen aus. Seit diesem Jahr auch Männer. "Frauen ist es bisher kaum möglich, sexuelle Erfahrungen im geschützten Rahmen zu erleben", sagt sie. An Bewerbungen von Männern mangle es nicht – ausgebildet hat Kölbl aber erst zwei. "Ich muss für die Männer meine Hand ins Feuer legen können." Beim leisesten Zweifel über deren Beweggründe bilde sie diese nicht aus.

 

Die negativen Erfahrungen 

Laszlo ist einer der beiden Männer, die Isabelle Kölbl ausgebildet hat. Er arbeitete früher als Betreuer in Österreich. "In vielen Gesprächen mit Menschen mit Behinderung habe ich gemerkt, wie gross das Bedürfnis nach Sexualität ist." Mit der Arbeit als Sexualbegleiter will er auch etwas Gutes tun.

 

Und darum geht es auch Isabelle Kölbl. "Viele Menschen mit Behinderung können ihre sexuellen Bedürfnisse nicht in einer Beziehung ausleben." Sie seien auf Dienstleistungen angewiesen.

 

Vroni hatte bereits Beziehungen – und dabei schmerzliche Erfahrungen gemacht. "Der Sex mit dir fühlt sich an wie mit einer Gummipuppe", sagte ein Freund zu ihr. Nach über vier Jahren Beziehung. Die Schuld suchte sie bei sich selbst: "Werde ich einem Mann überhaupt gerecht?", fragte sie sich.

 

Auch auf Kontaktbörsen hat sie ihr Glück versucht. "Doch die Männer, die ich dort kennen lernte, hatten überhaupt kein Einfühlungsvermögen." Vielen von ihnen ging es wohl lediglich darum, so vermutet Vroni, Sex mit einer Frau im Rollstuhl zu haben. "Ich fühlte mich ausgenutzt."

 

Sorgen machten sich auch ihre Schwester und ihre Freundinnen. "Sie befürchteten, dass ich an die falschen Männer gerate."

 

Der neue Mut

Die negativen Erfahrungen belasten Vroni. Die Begegnung mit Laszlo hat ihr neuen Mut gemacht. Solche Situationen beobachtet Isabelle Kölbl häufig. "Ein Treffen mit einem Sexualbegleiter gibt Betroffenen neues Selbstbewusstsein. Manchmal blühen sie regelrecht auf."

 

Doch wie läuft ein solches Treffen überhaupt ab? Der erste Kontakt erfolge meist schriftlich, erklärt Laszlo. "Per E-Mail lernt man sich ein bisschen besser kennen." Bis zum ersten Treffen könnten dann Monate vergehen. Ist es so weit, verabrede man sich an einem neutralen Ort wie etwa in einem Café.

 

Was anschliessend passiere, so betonen Laszlo und Isabelle Kölbl, bestimmen die Betroffenen. "Es geht ausschliesslich um ihre Bedürfnisse, und sie sagen, ob es zu Geschlechtsverkehr kommt oder ob es bei einem Gespräch bleibt."

 

Die richtige Abgrenzung

Vroni kann ihre Bedürfnisse äussern. Bei Menschen mit geistiger Behinderung ist das aber nicht immer der Fall. In solchen Situationen gehe es darum, das Verhalten zu deuten, erklärt Isabelle Kölbl. "Oft zeigen Betroffene ein aggressives Verhalten." Zudem suchten sie übertrieben die Nähe zu anderen Menschen.

 

Komme es zu einem Treffen mit einem Sexualbegleiter, müsse dieser von Moment zu Moment entscheiden, was angebracht sei und was nicht. "Wir investieren viel Zeit und Gefühl, denn Einfühlungsvermögen ist das A und O", sagt Isabelle Kölbl. 

 

Das berge auch Gefahren. "Man muss sich danach auch wieder distanzieren können." Das gelte für beide Seiten. "Doch gerade wenn jemand zum ersten Mal Sex hat, entstehen gewaltige Gefühle", so Kölbl.

 

Eine Hilfe bei der Abgrenzung sei der finanzielle Aspekt. Es entstehe eine Anspruchshaltung, erklärt Vroni. "Ich bezahle eine Dienstleistung und will etwas für mein Geld bekommen." Ähnlich sieht es Laszlo: "Das Geld führt mir nochmals vor Augen, dass es sich lediglich um eine Dienstleitung handelt."

 

Die positiven Reaktionen

Jeder Sexualbegleiter bestimmt den Preis individuell. Der zeitliche Rahmen, der Ort der Begegnung spielen dabei immer eine Rolle. Konkretere Angaben zum Preis machen die drei nicht.  

 

Der finanzielle Aspekt führt auch dazu, dass Sexualbegleitung in dieselbe Schublade wie Prostitution gesteckt wird. Diesen Vorwurf lässt Isabelle Kölbl aber nicht gelten. "Wir investieren so viel Zeit in die Treffen, von Prostitution kann daher nicht die Rede sein." Sie beobachte zudem die Tendenz, dass sich viele Menschen langsam für das Thema öffnen.

 

Vroni hat ihrer Schwester und ihren besten Freundinnen von Laszlo erzählt. Die Reaktionen seien positiv gewesen. "Sie waren froh, dass ich mich nicht mehr auf Männer von Kontaktbörsen einlasse." Mittlerweile hat sie ihnen Laszlo vorgestellt.


Autor:in
Stephanie Jungo, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 17.10.2018
Geändert: 17.10.2018
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