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Jugend und Politik: «Und wie fanden Sie zu Ihrer Partei?»

Wie engagiert sich Jugendliche für politische Fragen einsetzen, erlebte SP-Co-Präsident Matthias Marthaler am Polit-Parcours im Oberstufenzentrum Worbboden. Er unterstützte daher in der Juni-Sitzung des Grossen Gemeinderats die Motion der FDP-Fraktion: Jugendliche sollen ihre Anliegen mit einem Jugendvorstoss eingeben können.

Matthias Marthaler im Oberstufenzentrum Worbboden: Er freute sich über die interessierten Jugendlichen am Polit-Parcours. (Foto: Archiv BERN-OST/cw)

Matthias Marthaler war positiv überrascht, als er im Mai beim Polit-Parcours im Oberstufenzentrum Worbboden mitmachte. Er erlebte die Achtklässler:innen, die ihm anfangs erklärt hatten, sie seien völlig unpolitisch, ganz im Gegenteil als ausgesprochen motiviert: «Tatsächlich zeigten sie sich nach anfänglicher Zurückhaltung extrem interessiert, diskussionsfreudig und politisch engagiert!»

 

«Vandalismus führt ja zu höheren Steuern»

Mit viel Eifer diskutierten die Schüler:innen im Workshop mit Matthias Marthaler, wie eine Gemeinde funktioniert, wer wofür verantwortlich ist, und wie sich junge Menschen auch unter 18 Jahren einbringen können. «Dabei kamen super Gedanken zusammen», erzählt Marthaler.

 

Die Jugendlichen hätten beispielsweise selbst das Thema Vandalismus eingebracht und in der Diskussion rasch gefolgert: «Wenn eine Gemeinde aufgrund von Vandalismus einen höheren Reinigungsaufwand hat, bedeutet das ja, dass mit der Zeit die Steuern steigen.»

 

Polit-Parcours holt Interessierte ab…

Oliver Rüesch, Schulleiter am Oberstufenzentrum Worbboden, schaute interessiert bei den verschiedenen Gruppen herein und freute sich über die lebhaften Diskussionen. Insgesamt erlebe er die Jugendlichen an seiner Schule als «vergleichbar mit Erwachsenen», sagt er: Die einen äusserst politisch interessiert – die anderen sehr mässig. «Ich finde es aber toll, dass mit dem Polit-Parcours besonders die Interessierten abgeholt und gefördert werden.»

 

…die Schule vermittelt ein Grundwissen

Einen soliden Grundstock an politischer Bildung erhielten allerdings alle Schüler:innen, ergänzt Rüesch: Zum einen im Schulfach «Räume, Zeiten und Gesellschaften» (RZG, früher Geografie und Geschichte), zum anderen im Deutsch, wo auch das Debattieren geübt werde. Aber es sei schön, dass mit dem Polit-Parcours der direkte Bezug zur Gemeindepolitik geschaffen werde, findet er. «Das ist eine wunderbare konkrete Ergänzung.»

 

Marthalers überraschender Werdegang…

Tatsächlich wollten die Schüler:innen auch von Matthias Marthaler genau wissen, wie er zu seiner politischen Haltung und zur SP gefunden habe. Und dieser, so zeigte sich, ist durchaus für Überraschungen gut: Der 41-Jährige, ein ehemaliger Berufssoldat, war früher «politisch eher anders ausgerichtet», wie er sagt. Heute ist er Co-Präsident der SP Worb und vierfacher Vater und Hausmann.

 

…und sein Weg zur SP

Zur SP, erklärte er den Schüler:innen, sei er durch einen Auswahlprozess gestossen. Schon als Jugendlicher habe er mit seinem Götti, einem engagierten und überzeugten SVP-Politiker, gerne debattiert. Als er sich dann in der Gemeinde politisch engagieren wollte, habe er aufgeschrieben, was ihm wichtig ist, und alle Parteien genau betrachtet. «Bei der SP Worb habe ich die meisten Übereinstimmungen gefunden», sagte er: «Dort haben sie gute Gedanken und ich fühle mich wohl.»

 

Kritische Fragen und viele Gedanken…

Marthaler ist mit seinen beiden Söhnen (12 und 9) und den beiden Zwillingstöchtern (6) gerne in der Boulderhalle, beim Fussballspielen oder im Wald anzutreffen. Aber ebenso oft diskutiert er mit ihnen lebhaft allerlei Fragen, beispielsweise rund um Fairness oder Soziale Hilfe. Dabei staunt er immer wieder, welch kritische Fragen sein Ältester stellt, und wie viele Gedanken sich schon seine sechsjährige Tochter macht.

 

…auch von 13- bis 18-Jährigen

Für Matthias Marthaler war daher sofort klar: Er würde die Motion der FDP-Fraktion «Einführung Jugendvorstoss» in der Sitzung des Grossen Gemeinderats voll unterstützen.

 

Diese fordert, dass Jugendliche künftig mehr politisches Mitspracherecht erhalten sollen: Haben mindestens zwanzig Worber Jugendliche im Alter zwischen 13 und 18 Jahren ein Anliegen, sollen sie dieses beim Parlament deponieren können. Dort soll es wie ein reguläres Geschäft behandelt werden.  

 

Jugendvorstoss: Wenig Verständnis?

Das Traktandum gab an der Juni-Sitzung des Grossen Gemeinderats zu diskutieren. Der Gemeinderat hatte in seiner Stellungnahme beantragt, die Motion als nicht erheblich zu erklären. Begründung: Am 3. März 2024 hätten die Stimmberechtigten die Änderung der Gemeindeverfassung genehmigt.

 

Wolle man einen Jugendvorstoss einführen, schrieb der Gemeinderat in der Stellungnahme, müsste man nochmals eine Urnenabstimmung zur Änderung der Gemeindeverfassung durchführen. «Das würde bei der Bevölkerung wohl auf wenig Verständnis stossen.»

 

Oder zu mühsam?

Catharina Jost (GLP) stützte diese Haltung. Sie sei nicht prinzipiell dagegen, meinte sie, aber: «Wir haben vor drei Monaten über die Gemeindeverfassung abgestimmt, und man hätte genug Zeit gehabt, das gleich dann einzubringen.»

 

In diesem Sinne doppelte Markus Reber (SVP) nach: «Ich sehe das auch so, der Zug ist abgefahren». Und: «Es wäre mühsam, immer wieder die Verfassung neu anzupassen.»

 

«Das kann doch nicht sein!»

Das sah allerdings Paula Günther (Grüne) genau anders: «Die Verfassung soll doch kontinuierlich verbessert werden», plädierte sie. Andy Marchand (FDP) sprang ihr zur Seite mit dem Ausruf: «Das kann doch kein Argument sein, ‘wir mögen nicht mehr’!» Und Matthias Marthaler (SP) schob nach: «Es gibt gar keine Verfassungsruhe, denn es geht um Entwicklung!»

 

«Ihr habt mich überzeugt!»

Die Argumente der Befürworter:innen leuchteten Bruno Fivian (SVP) offenbar derart ein, dass er trotz anfänglicher Ablehnung ans Rednerpult marschierte und energisch erklärte: «Ihr habt mich überzeugt! Ich werde zustimmen und halte meine Partei an, ebenfalls zuzustimmen.» Für seinen pragmatischen Meinungswechsel erntete er spontanen Applaus.

 

Tatsächlich wurde die Motion «Einführung Jugendvorstoss» am Ende grossmehrheitlich angenommen.

 

Politik zum Anfassen

Matthias Marthaler freut der Entscheid. Besonders nach seinen Erfahrungen mit den Achtklässler:innen ist er überzeugt: «Es ist wichtig, jungen Menschen Politik zum Anfassen zu präsentieren und ihnen Antworten zu geben.»

 

[i] Der Polit-Parcours im Oberstufenzentrum Worbboden wurde von GGR-Präsident Guido Federer zusammen mit Oberstufenschulleiter Oliver Rüesch organisiert. Neben Matthias Marthaler machten folgende Parlamentarier mit: Guido Federer (SP), Rolf Maurer (SP), Daniel Stucki (FDP) und Titus Moser (EVP).

 

[i] Die fünf Politiker bearbeiteten mit den Achtklässler:innen die  Themen «Ich und meine Gemeinde – Rechte, Pflichten, Mitsprache», «Politische Gemeinde – Aufgaben und Beispiele» und als nationales Thema «Energiegesetz» samt einer schulinternen Abstimmung dazu.


Autor:in
Claudia Weiss, claudia.weiss@bern-ost.ch
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Erstellt: 05.07.2024
Geändert: 05.07.2024
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