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Kiesenmatte Konolfingen: "Elf Tage absoluter Horror"
Sandra Imfeld und Therese Portmann liessen ihre Angehörigen im Alterszentrum Kiesenmatte in Konolfingen betreuen - eine Entscheidung, die sie bereuen. Mit BERN-OST sprachen sie über ihre Erlebnisse. Stiftungsratspräsident Walter Grossenbacher sagt dazu: "Den pauschalen Vorwurf, dass Senioren im Heim vernachlässigt werden, weisen wir zurück."
Eigentlich war es nur eine kurze Meldung, die BERN-OST am 7. April 2019 publizierte. Die Mitteilung, dass Heimleiterin Sari Wettstein das Alterszentrum Kiesenmatte in Konolfingen Ende Juli verlässt. Aber die Wogen gingen hoch. BERN-OST-Leserinnen und -Leser schrieben Kommentare, kritisierten die Art und Weise, wie das Heim geführt wird, hoffen, "dass die alten Menschen im Alterszentrum endlich mit Respekt behandelt werden."
Unter den Kommentatorinnen ist auch die Konolfingerin Sandra Imfeld. Als sie den Artikel las, kam ihr die eigene traurige Geschichte wieder hoch, die sie mit dem Heim verbindet. Sandra Imfeld will nicht länger schweigen. Sie will ihre Geschichte öffentlich erzählen und andere Menschen auf ihre Erfahrungen mit dem Heim aufmerksam machen. Einfach ist das nicht. "Es zerreisst mir noch immer das Herz", sagt sie. Dann fliessen die Tränen.
Kein schöner Empfang
Sandra Imfeld hat letztes Jahr ihren Schwiegervater in das Heim gebracht. "Das war der grösste Fehler", sagt sie. Es war klar, dass der Schwiegervater oder "Grossätti", wie sie ihn nennt, nur noch palliativ betreut werden würde. Im Spital Thun hatte man den Angehörigen gesagt, dass man nichts mehr machen könne. Darmkrebs im Endstadium.
Er hatte aufgedunsene Beine und konnte nicht mehr laufen, als er in die Kiesenmatte eintrat. Bis aber endlich ein Rollstuhl organisiert war, vergingen etwa 15 Minuten, erinnert sich Sandra Imfeld. Der Eintritt sei nicht schön gewesen. Der Klient sei einfach in sein Zimmer gestellt worden. Ohne richtige Begrüssung, ohne Einführung. "Wir hatten noch ein paar Fragen zum Aufenthalt, aber die konnte uns niemand beantworten. Die Rezeption war bereits geschlossen", sagt Imfeld.
Sehr oft geweint
Dieses Gefühl, das sie am Tag der Ankunft beschlich, das Gefühl, dass sich niemand richtig um ihren Schwiegervater kümmert, bestätigte sich. Wenn sie ihn besuchte, lag er regelmässig nur mit einem T-Shirt und einer Windel bekleidet im Bett. Niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn zuzudecken oder ihm eine Hose anzuziehen. "Wir fanden das sehr unwürdig", sagt Imfeld.
Der Grossätti habe sehr oft geweint in den elf Tagen in der Kiesenmatte, den elf letzten Tagen seines Lebens. "Das passte gar nicht zu ihm. Er hat sonst nie geweint", sagt Imfeld. In der Kiesenmatte sei er ständig zu irgendetwas gedrängt worden. Gedrängt, am Rollator zu gehen, gedrängt, zu essen. Für beides fehlte ihm bereits die Kraft. Er konnte nur noch liegen und war schon ganz wund davon. Eine spezielle Matratze, die ihm das Liegen trotz Wundheit erleichtern sollte, bekam er aber erst einen Tag vor seinem Tod.
Familie überfordert und enttäuscht
Eines Tages war Imfelds Schwiegervater nicht mehr ansprechbar. Der Sterbeprozess begann - aber niemand vom Personal informierte die Angehörigen. Das Bild, das sich ihnen zeigte, als sie ihn an diesem Tag besuchten, war schockierend und traf sie völlig unvorbereitet. "Die ganze Familie war aufgelöst", sagt Imfeld.
In der Nacht starb der Schwiegervater. "Wir wurden erst benachrichtigt, als er schon tot war." Vielleicht sei es ein Missverständnis gewesen, sagt Imfeld. Vielleicht habe sie nicht deutlich genug gesagt, dass sie beim Sterben dabei sein will und dass man ihr vorher Bescheid sagen soll.
Als die Familie am nächsten Morgen gemeinsam in die Cafeteria ging, kondolierte der Pflegedienstleiter. "Im gleichen Satz fragte er, wann wir das Zimmer räumen können. Der Grossätti lag ja noch im Bett, er war vielleicht sogar noch warm", sagt Imfeld. Sie sei völlig überrumpelt gewesen. Die unsensible Art des Pflegedienstleiters und des grössten Teils des Personals hat die ganze Familie überfordert und enttäuscht.
"Den pauschalen Vorwurf weisen wir zurück"
Walter Grossenbacher, Stiftungsratspräsident der Stiftung Alterszentrum Kiesenmatte nimmt zu den Vorwürfen ausführlich Stellung. "Den pauschalen Vorwurf, dass Seniorinnen und Senioren im Heim vernachlässigt werden, weisen wir zurück", schreibt er in der Stellungnahme. "Im Pflegeheim Kiesenmatte wird individuell gepflegt und auf die Bedürfnisse der Bewohnenden eingegangen."
Die Kleider-Thematik sieht Grossenbacher aus einem anderen Blickwinkel. Es gebe Situationen, in denen sich die Bewohnerinnen und Bewohner nicht anziehen wollen, was von den Betreuenden respektiert wird. "Die Pflege wird aufgrund einer Planung durchgeführt und die Mitarbeitenden haben die gemäss Pflegeeinstufung vorgesehene Zeit zur Verfügung und setzen diese auch entsprechend ein", schreibt Grossenbacher.
Der Stiftungsratspräsident weist darauf hin, dass die Stiftung Kiesenmatte als Pflegeheim auf der kantonalen Liste über sämtliche Bewilligungen des Kantons Bern (Gesundheits- und Fürsorgedirektion GEF) verfügt. Die damit verbundenen Konzepte zur Pflege seien vorhanden und von der GEF abgenommen. "Die Konzepte sind Grundlage für die tägliche Arbeit der Pflegefachleute, welche in genügender Anzahl und Qualifikation angestellt sind", so Grossenbacher. Die Stiftung Kiesenmatte beschäftige in der Pflege sogar mehr Personal, als der kantonale Richtstellenplan vorgibt.
"Niemand hatte Zeit"
Die Konolfingerin Therese Portmann sieht das anders. Sie schliesst sich der Kritik von Sandra Imfeld an. Auch sie bereut es, die Kiesenmatte für ihren Angehörigen gewählt zu haben. Vor zwei Jahren hatte sie ihren Mann in die Kiesenmatte gebracht - inzwischen lebt er aber in einem Heim in Gümligen. Die Zustände in Konolfingen seien für das Paar nicht mehr tragbar gewesen.
Auch Portmann hatte den Eindruck, dass ihr Mann in der Kiesenmatte vernachlässigt wurde. "Einmal wollten wir ihn um 14.45 Uhr anlässlich des Sonntagbesuchs mit Schwiegertochter und den Enkelkindern abholen, um mit ihm in die Cafeteria zu gehen. Als wir in sein Zimmer kamen, trug er immer noch sein Pyjama und war nicht bereit gemacht. Über sein ganzes Gesicht hatte sich ein Ekzem ausgebreitet", sagt Portmann. Diesen Anblick wird sie nicht mehr vergessen. Zu viel für die Rentnerin. Sofort suchte sie das Gespräch mit dem Personal. Es stellte sich heraus, dass einfach "niemand Zeit" gehabt hatte, sich um ihren Mann zu kümmern. Das Ekzem sei nicht behandelt worden.
Die Situation eskaliert
"Und dafür zahlen wir fast 6000 Franken", sagt Portmann. Sie ist traurig und wütend. Über die mangelnde Pflege, aber auch über die mangelnde Zusammenarbeit. Als ihr Mann eine Wunde am Kopf hatte, die genäht werden musste, wurde sie nicht darüber informiert. Hätte sie eher von dem Sturz erfahren, hätte sie ihn zum Arzt begleitet. Aber niemand hatte daran gedacht, dass dies für das Ehepaar wichtig sein könnte.
Als es ihrem Mann gesundheitlich schlechter ging, musste er im Rollstuhl sitzen, erzählt Portmann. Bei ihren Besuchen merkte sie, wie er immer trauriger wurde. "Früher im Speisesaal konnte ich wenigstens bei den anderen sein", sagte er - Erst später stellte sich heraus, dass er, seit er im Rollstuhl sass, nicht mehr in der gewohnten Gruppe essen durfte, sondern oben im 4. Stock, mit vielen Demenzkranken, wo Gespräche nur noch schwer möglich waren. Es ging ihm immer schlechter. So schlecht, dass er sogar anfing, zu randalieren. Es ging nicht mehr weiter. Der Senior kam in die Psychiatrie nach Münsingen. "Mir war klar, dass ich es nicht zulassen würde, dass er zurück nach Konolfingen muss", sagt Portmann. Sie ist sehr froh, dass ihr Mann seitdem in Gümligen lebt. "Hier hat er sich vom ersten Tag an wohl gefühlt."
"Nicht fehlerfrei"
"Den Vorwurf, dass der Kontakt zu den Angehörigen nicht ausreichend ist, lassen wir nicht gelten", schreibt Stiftungsratspräsident Grossenbacher. Stürze im hohen Alter seien leider nicht gänzlich zu vermeiden. Die Arbeitsprozesse sehen vor, dass stets ein Sturzprotokoll erstellt werde, inklusive Information an Arzt und Angehörige.
Der Stiftungsratspräsident lädt die Angehörigen ein, mit der Heimleitung Kontakt aufzunehmen, um die individuellen Situationen zu besprechen. "Die Stiftung Kiesenmatte und deren Mitarbeitende sind, wie andere Organisationen und deren Menschen, bestimmt nicht fehlerfrei", schreibt er in seiner Stellungnahme. Bei über 18'000 geleisteten Pflegetagen im Jahr im Pflegeheim (ohne Alterssiedlung) könnten Fehler vorkommen. Für die Stiftung Kiesenmatte sei wichtig, wie mit diesen Fehlern umgegangen wird. Diese würden von den Führungspersonen thematisiert, analysiert und Massnahmen daraus abgeleitet. "Sollten Fehler passiert sein, entschuldigen sich der Stiftungsrat und die Heimleitung dafür", so Grossenbacher.
Das Alterszentrum Kiesenmatte setze Wert auf einen offenen, direkten Austausch mit Bewohnenden und Angehörigen. "Diese können sich bei den zuständigen Personen jederzeit melden und ihre Anliegen werden diskutiert und im Rahmen der Möglichkeiten aufgenommen", so Grossenbacher. In der Kiesenmatte leben rund 100 Menschen und alle haben ein Umfeld mit Angehörigen, wie er schreibt, d.h. mehrere hundert Personen haben einen direkten oder indirekten Bezug zum Alterszentrum Kiesenmatte. "Die überwiegende Mehrheit ist mit den Leistungen zufrieden, fühlt sich gut aufgehoben und meldet dies persönlich oder mittels Bewohner-/Angehörigenumfrage zurück."
Erstellt:
30.04.2019
Geändert: 01.10.2019
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