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Konolfingen - Eine Ära geht zu Ende
Die alten Gebäude am Kreuzplatz sollen noch diesen Frühling abgerissen werden. Besonders hart trifft dies Barbara und Matthias Gfeller, die dort seit über 18 Jahren die Bar El Cannario betrieben.
In der Garagenwand klafft ein grosser Spalt, zwei Schraubzwingen verhindern den Zerfall. Ein ähnliches Bild bietet sich, wenn man die danebenliegende Treppe zur Veranda hochläuft: Zwischen letzter Stufe und Plateau klafft eine grosse Lücke, die nur von ein paar Spinnennetzen gefüllt wird.
Das Gebäude birgt Risiken, so Herbert Schüpbach, Eigentümer der beiden Liegenschaften am Kreuzplatz 3 und 5. «Was, wenn ein Kind beim Spielen in eine Spalte oder ein Loch fällt und zu Tode stürzt?», fragt er rhetorisch. «Diese Verantwortung will ich nicht übernehmen.» Deshalb sollen beide Häuser diesen Frühling abgerissen werden, das Baugesuch liegt noch bis zum 18. Februar bei der Gemeinde auf.
Läuft man ein Stück weiter, erreicht man den Eingangsbereich der Bar El Cannario. Tische mit schwarz-weissem Comicbezug füllen die Terrasse, einige der abgebildeten Figuren wurden von den Besuchern koloriert. An der linken Seite hängt ein grosser, gelber Kanarienvogel – das Maskottchen des Betriebs, den eine Freundin für das Inhaberpaar gezimmert hat.
Matthias und Barbara Gfeller sind die letzten Mieter, die das Gebäude noch mit Leben füllen. Den Bewohnern der Wohnungen in den oberen Stockwerken wurde bereits letzten März gekündigt, Gfellers müssen die Bar bis Ende Februar geräumt haben. «Noch zwei Wochen», sagt Matthias Gfeller, «dann ist das Cannario Geschichte.» Dann stehen sie vor dem Nichts.
Ehemaliges Hanflädeli
Im Innern des Cannario präsentiert sich ein übersichtlicher Raum. Rechts steht ein Billardtisch, an der Wand prangt in bunter Schrift das aktuelle Programm, daneben ein «Fuck Nazis»-Sticker, gegenüber ist ein alter Kamin. «Früher durften wir den noch gebrauchen», erzählt Barbara Gfeller, irgendwann intervenierte dann die Feuerpolizei. Seither ist es im Cannario kalt geworden. Jetzt, im Winter, kämpft der elektrische Heizofen tapfer gegen die schlechte Isolierung an. Entsprechend hoch seien die Nebenkosten.
Seit über 18 Jahren wirtet das Ehepaar bereits im Haus am Kreuzplatz in Konolfingen. Ganz spontan entschied sich Matthias Gfeller, nachdem er lange Zeit auf Teneriffa gelebt hatte, hier ein Lokal zu eröffnen. «Damals war die Mischung aus Bar und Hanfladen voll im Trend», erzählt der heute 52-Jährige. Das Konzept brachte er ins Dorf am Eingang zum Emmental – zuerst in zwei kleinen Räumen, in die knapp ein Bartresen und ein paar Tische passen.
2 Jahre lief der Handel mit Cannabis, über die Ladentheke, samt Steuerabrechnung und Mehrwertsteuer. «Wir waren einer von rund vierhundert Läden in der Schweiz», erzählt Matthias Gfeller, «die Polizei wusste Bescheid, hat aber lange nicht interveniert.» Durch die Initiative zur Legalisierung standen die Geschäfte plötzlich im öffentlichen Interesse – und die Polizei plötzlich im El Cannario. «Zum Glück hatten wir eine Gastgewerbebewilligung und konnten als normale Bar weitermachen.» Den Ruf des Hanfladens seien sie aber nie mehr ganz losgeworden. Lange mussten Gfellers gegen die eher konservative Bevölkerung Konolfingens und deren Vorurteile ankämpfen, das Ganze habe sich aber irgendwie eingerenkt.
Keine Anschlusslösung
Meist sei es im Cannario ruhig geblieben, beteuern Gfellers. Um halb eins war unter der Woche Schluss, grössere Alkoholexzesse habe es nie gegeben. Nur wenn eine Band auf der improvisierten Bühne stand, wurde es auch mal lauter. Dunkle Striche auf dem Laminatboden zeugen vom vielen Equipment, das in die Bar rein- und rausgeschleppt wurde. Das El Cannario sei stets eine Plattform für junge Bands gewesen, sagt Barbara Gfeller, lacht und fügt an: «Die grossen Nummern konnten wir uns eh nicht leisten.»
Für das Ehepaar Gfeller geht mit der Schliessung des Cannario nicht nur eine Ära zu Ende – sozial und finanziell stürzt die Kündigung die beiden in ein Loch, eine Anschlusslösung ist nicht wirklich in Sicht. Gerne würden sie das Lokal an einem anderen Ort wieder eröffnen, beispielsweise im Chrüzplatz Kafi, nur wenige Meter vom Kreuzplatz entfernt. Dessen heutiger Betreiber, Bruno Kindler, schliesst seinen Betrieb auf Ende Februar. Dort müssten Gfellers aber erst eine Baubewilligung durchbringen und die Öffnungszeiten anpassen. Das Ehepaar hat zwei Töchter, 15 und 9 Jahre alt. «Von dem her war das Cannario für uns perfekt», sagt die 45-Jährige, «einer von uns konnte am Abend für die Kinder da sein, der andere für die Bar.»
Schlaflose Nächte
Wenn Gfellers von den alten Zeiten erzählen, gibt es viel zu lachen. Weniger lustig waren für Matthias und Barbara Gfeller die letzten anderthalb Jahre. Diese wurden geprägt von schlaflosen Nächten und aufwendigen Gerichtsverhandlungen. Angefangen hat alles 2017, als sich Gfellers den elektrischen Heizofen angeschafft hatten. Schon damals sei das Haus in einem schlechten Zustand gewesen, also schickten Gfellers eine Mängelliste mit den wichtigsten Punkten an den Eigentümer.
Erst auf diesem Weg habe Herbert Schüpbach erfahren, wie schlecht es tatsächlich um die Häuser stand. Und weil dieser keinen Unfall riskieren wollte, stellte er den Mietern die Kündigung aus. «Das wollten wir uns nicht gefallen lassen», erzählt Matthias Gfeller. Deshalb hätten sie die Kündigung angefochten, von der Schlichtungsbehörde bis zum Regionalgericht – wo die Richterin zugunsten Schüpbachs entschied. Das Gebäude sei baufällig, so das Resultat des Verfahrens, ein Abriss gerechtfertigt. Das Haus zu renovieren, sei keine Option, sagt Schüpbach auf Anfrage. Der Grund liege tief unterhalb des Cannario, wo eine Quelle den Sand im Boden nach und nach abträgt und das Fundament immer weiter absinken lässt.
Was anschliessend mit dem Areal passiere, könne man noch nicht sagen, so Herbert Schüpbach. «Aktuell laufen Gespräche mit der Gemeinde.» Es werde wohl auf eine Zwischennutzung hinauslaufen, vielleicht auf eine Art Dorfplatz. Der Abriss werde also im buchstäblichen Sinn eine Lücke im Dorf hinterlassen, so Matthias und Barbara Gfeller. «Geht das Cannario zu, wird uns persönlich viel fehlen. Was danach dem Dorf fehlt – das wird sich zeigen.»
Am Wochenende vom 14., 15. und 16. Februar wird im El Cannario zum letzten Mal gefeiert. Unter anderem tritt dann auch die Band Chaostruppe auf.
[i] Am Wochenende vom 14., 15. und 16. Februar wird im El Cannario zum letzten Mal gefeiert. Unter anderem tritt dann auch die Band Chaostruppe auf.
Die Sache mit der Tankstelle
Es ist nicht das erste Mal, dass die Liegenschaften am Kreuzplatz im Fokus stehen – jener Ort, der vom ehemaligen Gemeindepräsidenten Peter Moser (SVP) als einen Schandfleck bezeichnet wurde. Ginge es nach Eigentümer Herbert Schüpbach, hätten die Gebäude schon vor sechs Jahren verschwinden sollen. Der Unternehmer und Inhaber der Tankstellenkette Gustoil wollte die Häuser abreissen und, gemeinsam mit den angrenzenden Liegenschaftsbesitzern, durch eine Überbauung samt Tankstelle ersetzen. Sogar eine Sanierung sei für ihn damals noch infrage gekommen, wie Schüpbach 2013 gegenüber dieser Zeitung sagte. Die Bevölkerung jedoch wollte es anders: Ein Komitee sammelte Unterschriften gegen die Tankstelle, diese passe nicht in das Gesamtbild des Dorfes. 2014 wurde die Initiative mit 788 Unterschriften eingereicht und Schüpbach zum Rückzug seiner Pläne gezwungen. Doch der Unternehmer mit Wohnsitz im Oberaargau hatte schon früher gesagt: Wenn er die Tankstelle nicht bauen dürfe, mache er auch bei der Überbauung nicht mit. Und so musste schliesslich das ganze Projekt auf Eis gelegt werden.
Erstellt:
02.02.2019
Geändert: 02.02.2019
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