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Lebenshof KuhErde: «Wir wollen zeigen, wie Tiere wirklich leben möchten»
An einem Hügel in Bowil betreiben Selina und Adrian Blaser keinen gewöhnlichen Bauernhof – sondern einen Lebenshof. Tiere, die sonst geschlachtet würden, dürfen hier bleiben, bis sie sterben. Der Wandel vom Mutterkuhbetrieb zur «KuhErde» war für die Familie ein tiefgreifender Schritt – getragen von Mitgefühl, Überzeugung und dem Wunsch nach Veränderung im Umgang mit Nutztieren.
Zwischen Wiese und Wald, leicht am Hang versteckt, liegt der Hof von Selina und Adrian Blaser in Bowil. Gemeinsam mit ihren Töchtern leben sie hier – und mit zahlreichen Tieren, die ihren Lebensabend geniessen dürfen. 2020 hat das Paar den Hof von Adrians Eltern übernommen. «Damals war es noch ein klassischer Mutterkuhbetrieb», erzählt Selina Blaser unter der grossen Kastanie vor dem Haus.
Sie selbst ist auf dem Hügel vis-à-vis aufgewachsen – allerdings ohne Nutztiere. «Wir hatten Kleintiere, aber keine Kühe. Trotzdem hatte ich immer einen guten Zugang zu Tieren.» Die Umstellung auf den Hofalltag fiel ihr nicht schwer – mit Ausnahme der Maschinen: «Ich musste zuerst lernen, mit dem Heukran und dem Traktor umzugehen», sagt sie mit einem Lachen.
Zwischen Gewissen und Wohlbefinden
Mit der Zeit wuchs in ihr ein innerer Konflikt, der alles verändern sollte. «Ich dachte früher, wenn ich sehe, wie gut es die Tiere bei uns haben, könne ich es mittragen, wenn sie zum Metzger müssen», erzählt sie. Doch es kam anders.
«Ich hatte grosse Mühe, wenn ein Tier den Hof verlassen musste. Ich konnte oft nicht schlafen und litt sehr darunter», gesteht sie. «Für mich sind Tiere Freunde – und Freunde bringt man nicht zum Metzger.» Besonders schwer fiel ihr der Abschied von der ältesten Kuh Aura. Sie hatte zwölf Kälber geboren, später drei Totgeburten. «Sie brachte keinen Ertrag mehr und sollte geschlachtet werden – das war der Dank für all die Jahre. Das hat mir den Rest gegeben.»
Blaser begann, nach Alternativen zu suchen. Im Internet stiess sie auf den Lebenshof Hof Narr bei Zürich, der Bäuerinnen und Bauern hilft, ihre Betriebe umzuwandeln. Kurz darauf reisten Mitarbeitende von Hof Narr nach Bowil – und waren überzeugt: «Ihr könnt sofort umstellen.» Die Organisation übernahm die Patenschaft für Aura – sie durfte bleiben.
Zuerst organisierte die Landwirtin alles alleine. Erst als sie Gewissheit hatte, weihte sie ihren Mann ein. Gemeinsam besuchten sie den Hof Narr und holten sich Tipps. «Die Umstellung war eine riesige Erleichterung.» Auch Adrian Blaser habe später gesagt, dass er nie gerne Tiere zum Metzger gefahren habe.
KuhErde: Ein Name mit Botschaft
Mittlerweile sind die beiden seit über 20 Jahren ein Paar – sie gingen gemeinsam zur Schule – und teilen heute eine klare Vision: Ihr Lebenshof KuhErde soll ein Ort sein, wo Tiere nicht mehr ausgebeutet, sondern geachtet werden. Als die Mitarbeitenden von Hof Narr nach einem passenden Namen für den neuen Lebenshof fragten, hatte Selina Blaser spontan eine klare Vorstellung: «Es musste etwas mit Kühen zu tun haben, denn das ist der Ursprung des Hofes.» So kam sie auf das Wort «Kuhherde», das sie zu «KuhErde» abwandelte. «Kühe gibt es viele – überall auf der Erde. Das Wort steht für unsere Verbundenheit mit den Tieren und den Wunsch nach einer Veränderung auf der Erde.»
Heute ist auf dem Hof vieles anders – und vieles lebendiger. Aktuell ist der Hof voll belegt: Zurzeit geniessen Kühe, Kaninchen, Meerschweinchen und Hühner, Schweine, Schafe und Zwerggeissen, Schildkröten, ein Hund und Katzen die Aufmerksamkeit der Familie. «Kühe werden wir keine mehr aufnehmen, da wir das System nicht mehr unterstützen wollen», erklärt Blaser. Je weniger Kühe sie künftig haben, desto mehr Land kann vom Futterbau auf den Anbau umgestellt werden – etwa für Urdinkel, aus dem Mehl, Brot und Risotto entsteht. Kleintiere nimmt der Hof auf, wenn ein Plätzchen frei wird.
Ein Leben kostet immer
Doch der Hof ist nicht einfach ein Ort, wo Tiere ein Zuhause finden. Er steht für ein ganzes Konzept. «Ein Lebenshof ist kein Abschiebungshof. Die Tiere, die hier sind, sind Symboltiere. Wir wollen zeigen, wie Tiere leben möchten: Nicht in Massenhaltung, nicht auf Betonböden und nicht in Hallen – sondern draussen in der Natur mit Artgenossen.»
Die Nachfrage ist gross: Fast wöchentlich erhält Blaser Anfragen, Tiere aufzunehmen – besonders oft für Kälber. So viel Interesse bringt auch Verantwortung mit sich – und Grenzen, die gesetzt werden müssen. «Doch das ist nicht das Ziel: Für ein einzelnes Tier etwas zu ändern, genügt nicht. Es braucht ein Umdenken im System – genau das versuchen wir zu vermitteln.»
Zudem sind viele Anfragen reines Wunschdenken. «Leben retten ja – aber dafür zahlen nein. Deshalb haben wir beschlossen, keine Tiere mehr ohne Patenschaft aufzunehmen. Der Lebensunterhalt muss übernommen werden – Futter, Tierarztkosten, alles. Ohne diese Unterstützung könnten wir das gar nicht stemmen.»
Während Adrian Blaser Vollzeit auswärts arbeitet, ist Selina Blaser einmal pro Woche als Gärtnerin tätig. Den Rest bewältigt die Familie auf dem Hof – fast alles in Eigenregie.
Ein Ort der Begegnung, kein Missionshof
Der Lebenshof soll nicht nur ein Schutzort für Tiere sein, sondern auch ein Ort der Begegnung – für Schulreisen, Gruppen, Teamausflüge, Helfertage und Führungen mit Verpflegung. «Wir wollen niemanden bekehren, sondern einfach aufzeigen, dass es auch anders geht. Kinder sollen hier Freundschaften mit Tieren schliessen können.»
Die Tiere dürfen auf dem Hof bleiben, bis sie sterben – oder wenn sie zeigen, dass sie gehen möchten. «Viele unserer Tiere sind alt – das gehört dazu. Aber es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass sie es bei uns gut hatten.»
Mehr Lebenshöfe – und mehr Verständnis
Die Familie Blaser steht mit ihrer Entscheidung nicht allein da. «Wir besuchen auch andere Lebenshöfe – es kommen immer mehr dazu. Zum Glück findet ein Umdenken statt.» Besonders Bäuerinnen und Bauern hätten einen engen Bezug zu ihren Tieren – im Gegensatz zu vielen Menschen, die das Geschehen auf den Höfen gar nicht mehr kennen. «Mit dem Generationenwechsel verändert sich das – viele Junge sehen das anders und wollen dem System etwas entgegensetzen.»
Als KuhErde entstand, lud die Familie zum Hoffest mit Infoanlass. Viele Menschen aus dem Dorf und auch Bauern und Bäuerinnen kamen. «Am Anfang wurde schon mal getuschelt», erinnert sich Blaser, «aber wir waren überzeugt von unserem Weg – und das liess uns niemand nehmen.»
Neben kritischen Stimmen gab es auch viele schöne Erlebnisse. So schätzen sie die Zusammenarbeit mit den Nachbauern. «Man kann unterschiedliche Meinungen haben und sich trotzdem respektieren.»
[i] Am 6. & 7. September finden Hoftage auf verschiedenen Lebens- und Gnadenhöfe statt, so auch auf dem Lebenshof KuhErde in Bowil wie auch auf dem Lebenshof Burffhof in Obergoldbach. Eine gute Möglichkeit, einen Einblick hinter die Kulissen und in einen Lebenshof zu erhalten.
Erstellt:
18.07.2025
Geändert: 18.07.2025
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