- Kultur
Martin Studer: "Die unnahbare Autorität am Pult - das war einmal"
Der Dirigent arbeitet mit Profis und Laien. Gestern spielte er in der Berliner Philharmonie, übermorgen tritt er in Bern auf.
Gestern Sonntag hat Martin Studer im «Zirkus Karajani» dirigiert. So nennt die «Berliner Schnauze» die Philharmonie, das zeltartige Konzerthaus in der deutschen Hauptstadt, in dem Herbert von Karajan wirkte. Karajan und Studer in einem Atemzug: eine kühne Assoziation. Doch sie passt zu Studer, in dessen rast- und ruhelosem Kopf sich alles mit allem verbindet, auch auf dieser Tournee.
Geschickt verknüpft er «Jubiläen & Jubilare», wenn er mit den «Gala-Events» in Berlin auftritt und durch die Schweiz tourt. Eines ist der 300. Geburtstag von Carl Philipp Emanuel Bach, berühmter Sohn des noch berühmteren Johann Sebastian. C. P. E. Bach arbeitete als Hofmusiker und Komponist beim Preussenkönig Friedrich dem Grossen. Der «Alte Fritz» spielte Flöte und komponierte Flötenkonzerte, eines wird auf der Tournee aufgeführt.
Auch für das Konzert in Neuenburg hat Studer Jubiläen gefunden. 150 Jahre, von 1707 bis 1857, war République et Canton de Neuchâtel mit Preussen verbunden, selbst dann noch, als es 1815 Mitglied der Eidgenossenschaft wurde. Weil Studer aus terminlichen Gründen den Pianisten Severin von Eckardstein für Neuenburg nicht verpflichten konnte, fand er Ersatz in Laurent Nicoud.
Letzte Woche überraschte der junge «Neuenburger Pianist» das Publikum mit jazzigen Zugaben im Bach-Stil. Studer gefällt das, denn er hat einen weiten Horizont - und als Dirigent eine lange Konzerterfahrung. Zwei Jahrzehnte führte er das Studentenorchester der Uni Bern, oft trat er mit ihm am Dies academicus auf.
Die Leitung hat er inzwischen abgegeben. Dennoch bleibt er den Musikerinnen und Musikern verbunden, denn einige spielen im Also, dem Alumni- & Sinfornie-Orchester Uni Bern. Wieder andere machen im NZO mit, im Neuen Zürcher Orchester, das laut Studer zu mindestens einem Drittel ein Berner Orchester sei. Der Name werde jedoch nicht geändert, «denn sonst müssten wir beim Bekanntheitsgrad von vorne anfangen».
Auf der NZO-Webseite heisst es über Studer: «Besitzt einen hervorragenden Ruf als Persönlichkeit mit grosser Begeisterungsfähigkeit, hervorragender Motivationskunst, vielseitigem Interesse sowie profunden Kenntnissen auf zahlreichen Gebieten.» Wer immer der Verfasser ist: Er teilt Studers Sinn für griffige Affichen. So hiess es auf dem ersten Datenblatt zur Tournee: Peter Lukas Graf, «Weltstar-Flötist (Solist)».
Klassikkenner erinnern sich: Graf war vor der CD-Ära der Schweizer Flötist. «PeLuk», wie Studer den väterlichen Freund nennt, hat ihm den «Weltstar» ausgeredet: «Das bin ich doch nicht.» Der Doyen ist 85-jährig geworden, auch das ein Jubiläum. Er sei eine grosse Persönlichkeit und wirke wie 65, so Studer.
Graf gebe zu, dass Jungmusiker oft technisch brillanter seien, und manch früherer Konsi-Absolvent würde kaum die Aufnahmeprüfung schaffen. «Doch nicht selten fehlt die musikalische Tiefe, die Seele», räsoniert Studer. Umso wichtiger sei es, wenn Nachwuchskünstler mit Arrivierten spielen könnten. «Mit Graf in der Berliner Philharmonie: Davon werden die Jungen ihren Enkeln erzählen», schwärmt Studer. Generationenübergreifende Projekte sind für ihn ein Leitmotiv. Gerne erinnert er sich, wie sehr er von den Kursen bei der Dirigentenlegende Antal Dorati profitierte.
Studer hat als Gastdirigent in ganz Europa Erfahrungen gesammelt. Die Unterschiede zwischen Laienorchestern, semiprofessionellen und Profiklangkörpern kennt er genau. Laien spielten «auf Schlag» los, wenn der Dirigent den Taktstock senke, Profis begännen manchmal mit Verzögerung, was irritiere. Der unnahbare Diktator am Pult sei passé.
Orchestermusiker hätten heute ein viel höheres Niveau, weshalb das Verhältnis partnerschaftlicher sei. In Osteuropa sei das oft noch anders. So sei er in Rumänien einmal wie ein strenger Maestro alter Schule aufgetreten, «danach lief alles reibungslos».
Man glaubt es fast nicht, denn Studer ist ein freundlicher Mensch. Für Gags lässt er sich gerne einspannen, wie kürzlich im Stadttheater Bern, wo er das musikalische Rahmenprogramm am «Schweizer Journalistenpreis» dirigierte - mit unvollständigem Orchester. Die Bläser seien auf einem US-Flughafen gestrandet, hiess es, sie spielten per Videokonferenz mit. Doch dann hob sich der Vorhang, und plötzlich waren sie da.
Martin Studer: Dirigent mit breiter Erfahrung
Martin Studer-Müller, 1962 in Zürich geboren, wohnt in Rüfenacht. Er dirigiert das 1990 von ihm gegründete Neue Zürcher Orchester (NZO). Auch steht er dem 2007 gegründeten Alumni- & Sinfonie-Orchester der Uni Bern (ALSO) vor. Ehemalige Mitglieder des Uni-Orchesters spielen hier weiter. Studers grosses Anliegen ist generationenübergreifendes Musizieren. Wer den Sprung in ein Profi-Orchester geschafft oder eine Solistenlaufbahn begonnen hat, aber seine Wurzeln nicht vergisst, den holt Studer für Projekte mit Laienmusikern - als Ansporn für die Nachrückenden. Studer ist unter anderem als Organist in Zürich-Oerlikon tätig, sein Netzwerk umspannt die halbe Welt. Für ein Musical hat er Sekundarschülern in Zollikofen Stücke «auf den Leib geschrieben». Studer sagt, obwohl er «auf allen Leveln» tätig sei, habe er in der Schweiz zu oft das Image eines Laienorchesterdirigenten.
[i] Konzert: Mittwoch, 4.6., 19.30 Uhr, Kultur-Casino, Bern. Studer dirigiert Werke von C. P. E. Bach, Beethoven, Friedrich dem Grossen und Brahms. Solisten: Peter Lukas Graf und Severin von Eckardstein. Konzertkarten: www.nzo.ch und Abendkasse.
Autor:in
Markus Dütschler, "Der Bund"
Nachricht an die Redaktion
Statistik
Erstellt:
02.06.2014
Geändert: 02.06.2014
Klicks heute:
Klicks total:
Spenden
Bei BERN-OST gibt es weder Bezahlschranken noch Login-Pflicht - vor allem wegen der Trägerschaft durch die Genossenschaft EvK. Falls Sie uns gerne mit einem kleinen Betrag unterstützen möchten, haben Sie die Möglichkeit, dies hier zu tun.