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"Ohne Spitzenmedizin würde ich längst nicht mehr leben"

Quelle
Der Bund

Dem Arzt Michael Schenk wurde zweimal eine Leber transplantiert. Die schwere Krankheit mache ihm bewusst, wie kostbar und begrenzt das Leben sei, sagt er.

Michael Schenk: Dank Transplantationen bekam er zweimal ein neues Leben. (Bild: Franziska Rothenbühler)

Der Anruf kam um vier Uhr früh. Das Inselspital war dran. Man habe eine Leber für ihn, er solle sofort nach Bern kommen. Michael Schenk war im Bündnerland in den Sommerferien, in einem "zauberberghaften" Hotel mit schwachem Handyempfang. "Statistisch gesehen durfte ich erst ungefähr im November auf eine passende Leber hoffen", sagt der 59-jährige Allgemeinpraktiker aus Wichtrach. "Sonst wäre ich in der Nähe von Bern geblieben." Um fünf Uhr holte ihn das Taxi auf dem Berg ab, um acht Uhr war er im Inselspital. Viele Leute hätten Bedenken, sich in einen grossen Spitalkomplex zu begeben, aber er schätze es, wenn sich ein eingespieltes Team um einen kümmere und alle Spezialisten verfügbar seien.

 

Der "Bund" besucht den Hausarzt in seiner Praxis und fragt, was Ärzte sonst ihre Patienten fragen: "Wie geht es Ihnen?" Schenk ist froh und dankbar, dass sein Körper die neue Leber akzeptiert hat. Es gehe ihm gut. "Ich habe ein neues Velo gekauft, doch ich merke, dass ich schneller ermüde." Es sei ein schwerer Eingriff, und die Zeit davor, wenn die alte Leber nicht mehr richtig arbeite, belaste den Körper. Er sei oft unendlich erschöpft gewesen. "Manchmal konnte ich fast nicht vom Tisch aufstehen und mich zu Bett begeben." Doch jammern wolle er nicht: "Für meine Frau, die drei erwachsenen Kinder und Angehörigen war es wahrscheinlich noch schlimmer als für mich."

 

Zweite Transplantation

Schenk ist ein besonderer Fall, weil ihm schon zum zweiten Mal eine Leber transplantiert werden musste. Die Zirrhose – bei ihm keine Folge von Alkoholmissbrauch, sondern eine Autoimmunkrankheit – hat nicht nur seine eigene Leber zerstört, sondern auch jene, die ihm 2002 implantiert wurde. Einige Zeit davor, als Schenk noch nicht auf der Transplantationsliste stand, machte er mit der Familie Tauchferien in Ägypten, wo sich nach dem Terrorereignis 9/11 fast keine Touristen aufhielten. "Manche Leute fanden, dass wir spinnen." Aber schön gewesen sei es. Familie Schenk war längst wieder zu Hause, als das Telefon klingelte, die kleine Tochter abnahm und durchs Zimmer rief: "Si hei ä Läbere!"

 

Ganz überraschend kam die Erkrankung für Schenk nicht. Schon als Gymnasiast war er im Spital, weil er "öppis mit dr Läbere" habe, verbunden mit einer chronischen Darmentzündung. Heute kläre man solche Hinweise früher ab, sagt der Hausarzt, damit man eine Leberkrankheit im Frühstadium diagnostiziere und wenn möglich behandle, bevor das Endstadium einer Zirrhose vorliege.

 

War es für seine Patientinnen und Patienten gewöhnungsbedürftig, als ihr Doktor schwer krank war? Ja, sagt Schenk, einige hätten sich fast entschuldigt, dass sie ihn wegen eines "Bräschteli" aufsuchten. Er habe geantwortet, das sei in Ordnung, er sei ihr Arzt, auch wenn er krank sei. "Viele haben auch mitgefiebert, bis ich endlich eine Leber bekam." Einige hätten geschrieben, Güezi gebracht. "Das war berührend."

 

Geschenktes Leben

Und wenn auch diese Leber eines Tages den Dienst versagt? Schenk sagt, das sei möglich. "Eine schwere Krankheit macht einem bewusst, wie kostbar das Leben ist – und wie endlich." Vielleicht halte sie 15 Jahre wie die vorherige, vielleicht länger oder weniger lang. "Infekte oder eine Abstossung sind jederzeit möglich." Sein neues Leben sei ein «riesiges Geschenk», für das er dankbar sei, auch eine Verpflichtung, etwas Gescheites daraus zu machen und etwas zurückzugeben. So macht er als Arzt sehr gerne Hausbesuche.

 

Weil er sich seiner vermutlich reduzierten Lebenserwartung bewusst ist, verschiebt er seine Träume nicht auf die Zeit als Rentner. Schwimmen in der Aare geniesst er jetzt, auch wenn er wegen der rascheren Erschöpfung kürzere Strecken wählt – nur das Gleitschirmfliegen hat er aufgegeben. Schon vor der zweiten Transplantation erfüllte er sich einen Traum, eine dreimonatige Reise durch Indonesien. Das sei ein gewisses Risiko gewesen, auch wenn er nebst seinem Rucksack einen gut gefüllten Medikamentensack mit sich führte. In der Wichtracher Gemeinschaftspraxis habe sich eine längere Abwesenheit damals einrichten lassen. "Ich bin froh, dass ich es gemacht habe."


Autor:in
Markus Dütschler, Der Bund
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Erstellt: 22.10.2018
Geändert: 22.10.2018
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