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Keziah Jones in der Mühle Hunziken: "Es gibt keine apolitische Kultur"

Quelle
Der Bund

Keziah Jones hat dem Funk eine afrikanische Seele eingehaucht. Wir haben ihn vor seinem heutigen Konzert in der Mühle Hunziken zum Interview getroffen. Ein Gespräch über Nigeria, die Melancholie und afrikanische Superhelden.

"Strassenmusik ist eine raue, harte Schule": Keziah Jones kommt als musikalischer Einzelkämpfer nach Rubigen. (Foto: Keystone)

Letzte Woche in Neuenburg. Keziah Jones ist solo angereist. Doch die Bühne im Case à Chocs füllt er gleichwohl spielend aus. Mit seinem Herrenhut und dem weit aufgeknöpften Hemd verbreitet er gleichzeitig Eleganz und Sexyness – zwei Attribute, die sich auch in seiner Musik wiederfinden. Wohlweislich hat er ein ganzes Arsenal an Gitarren am linken Bühnenrand aufgestellt, denn sein Gitarrenspiel ist kein zärtliches, es ist darauf angelegt, dass da die eine oder andere Saite birst.

 

Das Konzert gibt eine Ahnung davon, wie es ausgesehen haben muss, als der Nigerianer Ende der Achtzigerjahre seine ersten Auftritte als Strassenmusiker in den U-Bahn-Stationen von London und Paris absolvierte: Der schmale dunkelhäutige Mann soll sogar jenen aufgefallen sein, die normalerweise teilnahmslos an den Buskers in der Pariser Metro vorbeihetzten. Die Auftritte von Keziah Jones waren kurz, aber intensiv, Polizei und Ausländerbehörden sollten nicht die Möglichkeit haben, seine nigerianischen Papiere zu überprüfen.

 

Das Gitarrenspiel hatte er sich selber beigebracht und dabei eine Methode entwickelt, mit der sich mit möglichst wenig technischem Aufwand ein Höchstmass an musikalischer Effizienz und Dringlichkeit erzeugen liess. Es war ein kantiges Spiel, die Gitarre wurde gleichzeitig als Melodie- und als Rhythmusinstrument eingesetzt. So klopfte, zupfte, trommelte und rüttelte er eine krude Form des Funk aus seinem holzigen Arbeitsgerät und sang dazu schwerblütige Melodien durch die Stätten des öffentlichen Nahverkehrs. Irgendwann erhaschte er die Aufmerksamkeit eines französischen Plattenbosses, Verträge wurden unterzeichnet, und 1992 elektrisierte Keziah Jones die Musikwelt mit seinem Debüt "Blufunk Is a Fact", auf dem er dem Funk eine Lektion in Soul und afrikanischem Rhythmusgeschick erteilte. Seither hat er viel experimentiert, hat afrofuturistische und psychedelische Elemente in seine Musik eingebaut und ist doch in all den Entwicklungsgängen erkennbar geblieben.

 

Im Hinterbühnenbereich des Case à Chocs hat der 50-Jährige die Kopfbedeckung ausgetauscht und präsentiert sich im rosaroten Stoffzylinder. Jung sieht er aus, mitteilsam gibt er sich. Er raucht Mentholzigaretten, und aus seiner Garderobe tönt feierlicher Afrobeat.

 

Für Ihr letztes Album haben Sie einen Superhelden kreiert, der sich darum bemüht hat, der Welt zu erklären, dass Afrika ein futuristischer, urbaner Kontinent ist. Wenn Sie heute einen Superhelden erfinden würden, was wäre seine Aufgabe?

Er müsste die Fähigkeit haben, das ökologische Bewusstsein der Menschen zu schärfen. Speziell in Afrika gibt es keine Sensibilität, sorgsam mit der Umwelt umzugehen. Als ich meinen Superhelden Captain Rugged vor sieben Jahren zum Leben erweckt habe, war das eine Art Satire. Es gab zwar jede Menge Superhelden, aber keiner war afrikanischer Abstammung. In dieser Zeit war auch die Idee, dass Afrika ein zukunftsgewandter, futuristischer Kontinent sein könnte, eine Utopie. Heute ist es eine allgemein verbreitete Ansicht.

 

Wie politisch ist Keziah Jones?

Ich bin 1968, kurz nach der Unabhängigkeit des Landes, in Nigeria geboren. Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, der Welt bewusst zu machen, was afrikanische Kultur und Identität ausmacht, wie vielfältig sie ist. Die afrikanische Diaspora ist riesig. Und es war mir immer ein Anliegen, die Kultur dieser Menschen sichtbar zu machen. Nichts ist besser dazu geeignet als die Musik. Wenn ich es mir recht überlege, gibt es keine apolitische Kultur.

 

Nigeria ist ein Schmelztiegel aller afrikanischen Kulturen. Sie leben in Lagos. Wie blicken Sie auf die Entwicklung Ihres Landes?

Nigeria ist historisch gesehen ein sehr wichtiges Land. Alle Schwarzen, die sich auf der ganzen Welt verbreitet haben, sind hier verwurzelt. Die Sklaverei ging vornehmlich von der westafrikanischen Küste aus. All den Afroamerikanern, den Haitianern oder den Afrobrasilianern wird allmählich bewusst, dass Nigeria eine wichtige Rolle in der Entwicklung der schwarzen Kultur zukommt. Die junge Generation der Nigerianer hat denn auch in den letzten Jahren einen sehr regen kulturellen und kreativen Austausch mit der afrikanischen Diaspora auf der ganzen Welt begonnen. Im Moment ist Nigeria noch kein touristischer Hotspot, wohl aber ein kulturelles Power-House. Es kommen immer mehr Leute hierhin, um ihre kulturellen Wurzeln zu entdecken.

 

Wendet sich auch die politische Situation, die geprägt war von Korruption und Misswirtschaft, zum Besseren?

Wir sind ein kapitalistisches Land, das weniger von Politikern als von Familienclans und der Wirtschaftselite dominiert wird. Es gibt keine politische Identität in diesem Land, dafür eben eine sehr starke kulturelle. Wir sind eine sehr junge Gesellschaft, mehr als 60 Prozent der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Diese Generation ist weit weniger frustriert als meine, weil sie vieles nicht am eigenen Leib erfahren hat, was in Nigeria schiefgelaufen ist. Und von dieser Generation geht eine sehr positive Kraft aus.

 

Sie haben mit vielen nigerianischen Musikerinnen wie Nneka, Ayo oder Asa zusammengearbeitet. Was, ausser derselben Heimat, verbindet Sie alle?

Es ist lustig, wir alle stammen aus Nigeria und sind über Frankreich in die Musikwelt eingedrungen. Im Moment ist in Nigeria der Hip-Hop das grosse Ding, wie überall in Afrika. Es war und ist mir stets ein Anliegen, aufzuzeigen, dass Nigeria auch viele hervorragende Singer-Songwriter besitzt.

 

Ihr letztes Album hat schon fünf Jahre auf dem Buckel. An was arbeiten Sie derzeit?

Ich schreibe gerade an einem neuen Album, das Ende nächsten Jahres erscheinen soll. Im Moment bin ich dabei, vieles zu hinterfragen und neu zu designen. Ich möchte künftig noch genauer herausarbeiten, was es heute bedeutet, ein afrikanischer Künstler zu sein, wie er funktioniert und wie er seine Message in die Welt tragen kann. Ich weiss noch nicht genau, wie ich das machen werde. Es wird sicher nicht bloss ein Album geben, sondern womöglich einen Film, ein Theaterstück oder eine grosse Show.

 

Sie malen, Sie erfinden Comics und haben auch als Schauspieler gearbeitet. Sind Sie dabei, das Vertrauen in die Musik zu verlieren?

Nein. Keine Angst. Musik wird immer das Zentrum bleiben. Aber ich versuche mich immer auch gerne auf anderen Gebieten auszudrücken.

 

Neben dem Kantigen und Rhythmischen findet sich in Ihrer Musik auch stets eine schwerblütige Komponente. Woher kommt die?

Wenn ich am Morgen erwache, fühle ich mich meist glücklich und privilegiert. Doch wenn ich die Welt betrachte, besteht schon die Gefahr, melancholisch zu werden. Sie könnte ein so viel besserer Ort sein. Es gibt so viele Institutionen, die es darauf anlegen, die Kreativität und den Individualismus zu unterdrücken. Dazu kommt, dass ich halt ganz einfach die blauen, traurigen Akkorde mag. Ich habe die Bezeichnung Blufunk für meine Musik erfunden, weil sie stets beide Aspekte beinhaltet: das Melancholische des Blues und die vorwärtstreibende Dynamik des Funk. Ich mag die Gleichzeitigkeit dieser Energien. Der Blues allein würde mich fertigmachen. Ich würde mich zurückziehen und sterben wollen. Ich brauche den Funk als Antrieb.

 

Eines Ihrer grossen Idole ist der Afrobeat-Erfinder Fela Kuti. Er wäre kürzlich 80 geworden. Sind Sie ihm einmal leibhaftig begegnet?

Sein Haus – oder besser gesagt seine Republik Kalakuta – lag auf meinem Schulweg. Ich bin da jeden Tag vorbeigekommen und sah ihn manchmal Üben in seinem Garten.

 

Er war ein musikalischer Umstürzler, ein politischer Agitator, ja eine Art Punk im angepassten und streng regierten Lagos der Sechzigerjahre. Was hat er Ihnen auf den Lebensweg gegeben?

Ihn zu erleben, gab mir den Antrieb, mich selbst zu verwirklichen, ein Individuum zu sein. Er war eine grosse Ermutigung und Inspiration.

 

Haben Ihre Eltern Sie vor ihm gewarnt?

Natürlich. Er war der ultimative böse Junge Nigerias. Fela war ständig im Fernsehen und in den Nachrichten, weil er wieder im Gefängnis war oder Kontroversen ausgelöst hat.

 

Sie wurden im Alter von 8 Jahren nach London an eine Eliteschule geschickt, haben sich aber bald als Strassenmusiker durchgeschlagen. Was lehrt einen die Strassenmusik fürs Musikerleben?

Fundamentale Dinge. Niemand hat auf einen Strassenmusiker gewartet. Die Leute bewegen sich möglichst ohne Zeitverlust von A nach B. Und deine Aufgabe ist es, sie zum Anhalten, zum Verweilen zu bringen. Du musst also eine Form des Entertainments finden, die dafür sorgt, dass sie sich auf dich einlassen – ohne allerdings der Versuchung des Overacting zu erliegen. Strassenmusik ist eine raue, harte Schule. Sie lehrt dich, deine Musik prägnant, direkt, kompakt und verständlich zu halten. Auf meiner aktuellen Tournee besinne ich mich genau auf das. Und ich geniesse – im Gegensatz zu den Konzerten mit meiner Band – alle Freiheiten der Improvisation.

 

Konzert: heute Dienstag, Mühle Hunziken, Rubigen, 20 Uhr (Türöffnung: 18.30 Uhr).


Autor:in
Ane Hebeisen, Der Bund
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Erstellt: 11.12.2018
Geändert: 11.12.2018
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