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Münsingen - Schaerer Medical: Seit 100 Jahren Operationstische

Quelle
Der Bund

Schaerer Medical in Münsingen stellt seit 100 Jahren Operationstische her.

Das Konstrukt erinnert mehr an einen alten Coiffeurstuhl. Oder an eine Zahnarztpraxis aus alten Tagen. Doch die Liege mit ihren vielen metallenen Stangen ist ein Operationstisch - gebaut vor 100 Jahren. Das «Modell 10» war der weltweit erste mobile Operationstisch - das heisst, der erste Operationstisch auf Rädern. Der bewegliche Tisch erlaubte den Ärzten mehr Flexibilität im Operationssaal. Zudem konnten die Patienten bereits vor der Narkose auf den Tisch gelegt werden - und wurden dann in den Operationssaal gerollt.


Zu sehen ist der 100-jährige Tisch bis Ende Monat im Foyer des Inselspitals in Bern - hier, wo seine Geschichte begann. Denn entwickelt hatte ihn die Firma Schaerer, 1892 gegründete Herstellerin für Arzt- und Spitalbedarf, gemeinsam mit dem Insel-Professor Fritz de Quervain. Zuvor hatte das Unternehmen bereits mit dem Berner Professor Theodor Kocher zusammengearbeitet, dem späteren Nobelpreisträger. Aus dieser Kooperation entstanden weltweit beachtete Operationsinstrumente.

20 Millionen Franken Umsatz

Doch mit den mobilen Operationstischen wurde der Grundstein für die heutige Tätigkeit der Schaerer Medical AG gelegt. Denn das Unternehmen mit Sitz in Münsingen (früher Moosseedorf) erzielt heute seinen gesamten Jahresumsatz von rund 20 Millionen Franken mit seinen mobilen Operationstischen. Heute arbeiten für Schaerer 44 Personen in Münsingen und 15 weitere für eine Tochterfirma in den USA.

Vom Modell von 1912 sind die heutigen Exemplare denkbar weit entfernt. Im massiven Sockel des Tischs ist ein komplexer elektronischer Antrieb untergebracht. Gesteuert wird dieser über eine Fernbedienung oder über ein zentrales Computersystem für Operationssäle, welches eine Drittfirma herstellt.Das Polster des Tischs passt sich der Anatomie des Patienten an - und nimmt nach getaner Operation wieder seine ursprüngliche Form an. Auf dem neusten Modell Arcus können auch schwer übergewichtige Menschen operiert werden - bis zu 360 Kilogramm hält der Tisch aus. Für orthopädische Operationen stellt Schaerer Zubehörteile her. Damit lassen sich die Beine, etwa für eine Knieoperation, in exakten Bahnen bewegen.Wer jedoch Bilder einer Operation sieht, wird kaum etwas davon sehen. Die Tische sind jeweils fast vollständig mit sterilen Tüchern abgedeckt. Obwohl man die Tische nicht zu Gesicht bekommt, sind sie teuer zu beschaffen: Mit einem Preis bis zu über 100 000 Franken kostet ein Tisch von Schaerer Medical gleich viel wie ein besseres Auto.

Finanzengpass überwunden

Wie Schaerer-Medical-Chef Hans Rudolf Sägesser gestern an einer Veranstaltung des Medical Clusters am Inselspital sagte, hat das Unternehmen in der Schweiz einen Marktanteil von 45 Prozent, weltweit jedoch lediglich 5 Prozent. Im Inselspital selbst, der Wiege des Ur-Modells von Schaerer, stammen längst nicht alle Operationstische aus Münsingen. Jene in der Neurochirurgie sind von Schaerer, zudem versucht das Unternehmen laut Firmenchef Hans Rudolf Sägesser im Hals-Nasen-Ohren-Bereich des Inselspitals «Fuss zu fassen».

Als sich das Inselspital bei der Vergabe eines Grossauftrags 2006 gegen die Operationstische von Schaerer entschied, trug dies zu den wirtschaftlichen Problemen des Unternehmens bei. 2007 geriet Schaerer - unter dem früheren Management - in einen Liquiditätsengpass, welcher für die Firma existenzbedrohend war. Im Jahr darauf wurde Schaerer Medical von einem privaten Investor gekauft, einem in Bern wohnhaften russischen Staatsbürger. Das Unternehmen wurde danach umstrukturiert und wieder auf Kurs gebracht.

Autor:in
Adrian Sulc / Der Bund
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Erstellt: 02.05.2012
Geändert: 02.05.2012
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