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Münsingen - Seeräuber zwischen Aare und Autobahn
Seit 100 Jahren gibt es im Kanton Bern Pfadfinder. Ein Besuch bei den Pfadi Chutze am kantonalen Pfadischnuppertag.
Der Parkplatz bei der Badi Münsingen ist Treffpunkt der Pfadi Chutze Aaretal. Es ist kantonaler Pfadischnuppertag. Deshalb sind viele neue Kindergesichter zu sehen. Auch zur 20-köpfigen Mädchenmeute Bagheera stossen an diesem Samstagnachmittag über zehn Neulinge. Danielle Meyer alias Fiori, eine der vier Leiterinnen, begrüsst sie. Plötzlich taucht wie aus dem Nichts eine verwirrte Piratin auf und ruft: «Wo ist nur meine Schatzkiste versteckt?» Die Suche nach dem verschollenen Piratinnenschatz kann beginnen. Nicht mit Kompass und Fernglas auf dem Piratenschiff, sondern mit einer Schatzkarte an Land.
Präzise Anleitungen
Die Karte führt die Kinder über die Autobahnbrücke zu kleinen Einfamilienhäusern. Hier finden die sechs- bis elfjährigen Nachwuchspfadfinderinnen einen Hinweis in einem kleinen Umschlag: «Dreimal im Kreis drehen, laut ahoi rufen und hundert Schritte Richtung Berge gehen», liest Kaya, eine der Neuen, vor. Sechzig Kinderfüsse in Gummistiefeln, Turn- und Wanderschuhen stürmen los. Einige Mädchen tragen violette oder blaue Batikhemden. Auf einem steht in schwarzen Buchstaben der Pfadiname Nanulis, das heisst Zwerglein. Im richtigen Leben heisst das Mädchen mit den Sommersprossen und zwei Zöpfchen Michelle Balsiger. Seit 4 Jahren ist die Elfjährige in der Chutze Aaretal. Auch sie hat das Pfadfinderdasein während eines Schnuppertages entdeckt: «Es gefällt mir. Hier können wir dreckig werden und Zeit draussen verbringen.» Einzig an ihre Pfaditaufe erinnert sie sich ungern: «Wir mussten ein eingelegtes Irgendwas essen und ein schlabbriges Etwas trinken.» Im Pfingstlager kann sich Nanulis erneut taufen lassen, wie alle, die von der Wolfs- in die Pfadistufe übertreten. «Ich will jetzt nicht mehr das Zwergli sein», sagt sie.
Schlangenbrot statt Schatz
Zurück zur Schatzsuche. Die verwirrte Piratin ist Leiterin Mirjam Zürcher alias Ayla. Sie erinnert sich plötzlich: Sie hat den Schatz bereits vor Jahren ausgegraben. Fiori rettet die Situation: «Dafür backen wir jetzt Schlangenbrote.» Die 21-jährige Studentin Danielle (Fiori) Meyer aus Wichtrach leitet die Meute Bagheera seit fünf Jahren.«Ich bin irgendwie hängen geblieben, wir sind wie eine Familie hier», sagt sie. Während die Leiterinnen ein Feuer entfachen, fechten Kaya, die Neue, und ihre Freundin Jeanne mit ihren Schlangenbrotstöcken.
Kantonale Pfadfinder
Kantonale Pfadfinder
Noch 4200 Kinder Am Samstagnachmittag haben Kinder und Jugendliche heute unzählige Möglichkeiten, sich zu vergnügen. Kein Wunder, werden immer weniger von ihnen Pfadfinder. Trotzdem spüren die Berner Pfadi einen leichten Aufschwung.
Polo Hofer, Ex-Bundesrat Adolf Ogi und der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät waren einst Berner Pfadfinder – zu einer Zeit, als die Pfadfinderabteilungen noch viel mehr Zulauf hatten. Derzeit sind nämlich nur noch 4200 Kinder und Jugendliche im Kanton Bern bei der Pfadi. Mit dieser Mitgliederzahl übertreffen die Pfadi zwar immer noch jede andere Berner Jugendorganisation. Doch die vielen Freizeitangebote und veränderte Familiengewohnheiten liessen die Bewegung im Kanton Bern in den letzten zwei Jahrzehnten um rund 3000 schrumpfen.
Immer mehr Eltern sind berufstätig und wollen am freien Wochenende etwas mit den Kindern unternehmen, statt sie am Samstagnachmittag in die Pfadi zu schicken. Immer grösser wird auch der Anteil der Kinder, die aus Ländern kommen, wo es keine Pfadfinder gibt, oder die lieber Fussball spielen.
Den Tiefpunkt habe die Berner Pfadi aber überwunden, ist deren Sprecher, Henrik Schoop, überzeugt. Nun gebe es sogar einen leichten Aufwärtstrend.
Die Berner Pfadibewegung hat in den 100 Jahren ihres Bestehens viel geändert. Die Bewegung hat vor allem das Militärimage abzustreifen versucht: Seit 25 Jahren gibt es für Buben und Mädchen keine separaten Organisationen mehr. Im Kanton Bern ist die Meitschipfadi Virus in Thun die einzige Abteilung, welche nicht beide Geschlechter aufnimmt.
Auch die vielen Militärbegriffe haben etliche Pfadiabteilungen ersetzt. Statt von der Uniform reden sie lieber vom Pfadihemd; das militärische «Antreten und Abtreten» heisst heute «Beginn und Schluss». Die «Übungen» sind zu «Aktivitäten» geworden. Seit 5 Jahren gibt es in manchen Abteilungen auch eine neue Altersstufe: Schon 5-Jährige können bei den Bibern mitmachen.
Eine völlige Anpassung ans moderne Leben wollen die Pfader trotz allem nicht. Die Verantwortlichen in der traditionsreichen Berner Patria-Pfadi sind überzeugt, dass die heutige Unterhaltungsindustrie mit ihren künstlichen Gefühlen nur vorübergehend «in» sei. Die Pfadiidee sei hingegen zeitlos: «Wir suchen echtes Erlebnis mit allen Sinnen und Gefühlen, spontan und persönlich, mit Leib und Seele.»
Esther Diener-Morscher
Autor:in
Lea Stuber, Berner Zeitung BZ
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Erstellt:
11.03.2013
Geändert: 11.03.2013
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