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Münsingen - Tödlicher Fehler im Auto

Quelle
Berner Zeitung BZ

Ein Autofahrer überfuhr vor vier Jahren in Münsingen ein Kind. Das Gericht sprach ihn schuldig – den Begleiter des Kindes aber frei.

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Kerzen und Blumen als Erinnerung an das Unglück auf der Entsorgungsstelle. (Bild: Archiv BZ)
Zwei gebrochene Männer sassen am Dienstag auf der Anklagebank. Und doch waren ihre Gemütslagen unterschiedlich. «Es ist fast erschütternd, wie in dieser Verhandlung Behauptungen und Annahmen geäussert werden», sagte der eine Angeklagte. Der 73-Jährige hatte im November 2010 auf einem Entsorgungshof in Münsingen mit seinem Auto ein dreijähriges Kind überfahren und tödlich verletzt. «Ich fühle mich selbst als Opfer», sagte er.

«Es tut mir unendlich leid, was passiert ist», sagte der andere Angeklagte. Der 47-Jährige hatte den Jungen an dem verhängnisvollen Tag begleitet. Er ist der Vater der beiden Halbgeschwister. «Ich leide sehr darunter.»

Urteile bestätigt

Das Obergericht in Bern sprach den Begleiter vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Dagegen verurteilte es den Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 70 Franken. Die Probezeit beträgt zwei Jahre.

Das Gericht bestätigte damit die Urteile des Regionalgerichts Bern-Mittelland vom Dezember 2013. Lediglich den Tagessatz erhöhte es von 40 auf 70 Franken. Die Verteidigung des Verurteilten und die Staatsanwaltschaft hatten gegen die erstinstanzlichen Urteile Berufung eingelegt.

Autofahrer sah Bub nicht

Der Unfall ereignete sich kurz vor dem Mittag auf dem Entsorgungshof an der Schulhausgasse und war eine Sache von Sekunden. Der Junge spielte mit einem Blatt eines Baums in einer Pfütze nahe der Einfahrt. Währenddessen wollte der Begleiter zwei Gläser in einen Container werfen und entfernte sich gut zehn Meter vom Jungen weg.

Da sah er, dass ein Auto im Schrittempo auf den Platz einbog und auf den Jungen zufuhr. Der Begleiter schrie und fuchtelte noch mit den Armen. Doch es nützte nichts. Das Auto erfasste den Jungen. Der Fahrer hatte den Jungen nicht gesehen.

Keine Zweifel an Schuld

Das ist die entscheidende Frage: Hätte er den Bub sehen müssen? Ja, meinte Generalstaatsanwalt Charles Haenni. «Er war in erheblichem Mass unachtsam, seine Gedanken waren anderswo.» Nein, fand Verteidiger Elias Hofstetter: Man müsse annehmen, dass der Junge in gebückter Haltung spielte und darum für seinen Klienten nicht zu sehen war. «Der Vorfall lässt sich nicht lückenlos rekonstruieren.»

Doch für das Gericht bestehen keine Zweifel. Der Fahrer habe in der Ferne nach einem Parkplatz Ausschau gehalten, sagte Oberrichterin Franziska Bratschi. «Stattdessen hätte er den Blick auf den Bereich vor dem Auto richten müssen.» Zusätzlich habe er im Auto mit der grossen Motorhaube eine ungünstige, weil tiefe Sitzposition eingenommen. Letztlich habe ein kleiner Fehler zu einer grossen Katastrophe geführt.

Eine Alltagssituation

Hätte womöglich ein umsichtiger Begleiter die Katastrophe verhindern können? Staatsanwalt Haenni: «Er war sich bewusst, dass hier Autos verkehren. Er musste sogar mit Lastwagen rechnen.» Dass die Sicht bei der Einfahrt eingeschränkt sei, habe ihm nicht entgehen können. Verteidiger Max Berger entgegnete: «Es wäre lebensfremd, wenn man ein Kind nicht 20 Sekunden unbeaufsichtigt lassen könnte.» Er habe ja nur zwei Gläser einwerfen wollen.

Das Gericht sah das auch so. «Es war eine vertretbare Alltagssituation», sagte Bratschi. Dem Begleiter konnte das Gericht keine Verletzung der Sorgfaltspflicht nachweisen und sprach ihn frei.

Autor:in
Johannes Reichen, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 29.10.2014
Geändert: 29.10.2014
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