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Münsingen/Oberdiessbach - Alte Liebe rostet nicht
Marianne Wenger war die erste Postautochauffeuse im Kanton Bern. Trotz Pensionierung sitzt sie weiter am Steuer. Für ein Projekt des PTT-Archivs erzählt sie von ihrem beruflichen Alltag.
Frauen hielt man für zu schwach, um bei Schneetreiben die schweren Ketten auf die gelben Fahrzeuge zu montieren. Und noch in den 1980er-Jahren hörte man hin und wieder das geflügelte, aber unzutreffende Wort «Frau am Steuer, nicht geheuer» – obwohl Männer in der Disziplin Unfälle ja eigentlich seit jeher führend sind. Heute liegt der Frauenanteil beim Fahrpersonal von Postauto Schweiz bei rund 9 Prozent, im Kanton Bern ist er leicht tiefer.
«Bei einer Frau steige ich nicht ein»
Marianne Wenger, die in Thun aufgewachsen ist, hatte schon als Jugendliche ein Faible für Motoren. Kaum war sie 18-jährig, machte sie die Motorradprüfung; bald fuhr sie auch schwere Maschinen von Triumph oder Norton. Der knatternde und röhrende Ton der britischen Fabrikate war für sie ein Plus. «Zu meiner Zeit gab es erst sehr wenige Frauen, die einen Töff hatten», sagt die heute 65-Jährige. Immer hatte sie auch beruflich mit Fahrzeugen und Motoren zu tun: Lieferwagen, Lastwagen, dann Cars und Busse. So meldete sie sich auf ein Zeitungsinserat für die Postautostrecke Thun–Reutigen und wurde beim Anruf gefragt, ob sie für ihren Mann anrufe. Sie setzte sich dann aber gegen 22 männliche Mitbewerber durch.
Für einige war die Vorstellung von einer Frau am Steuer eines Postautos noch gewöhnungsbedürftig. «Ein älterer Mann sagte, als er mich sah: ‹Bei einer Frau steige ich nicht ein.› Und kehrte um.» Später wurde der Mann zu einem Stammgast – er musste sich arrangieren, wenn er nicht zu Fuss nach Thun marschieren wollte. Dieses und andere «Müsterli» erzählte Marianne Wenger im Rahmen eines Projekts des PTT-Archivs in Köniz (siehe Box) in einem Videointerview. Darin bedauerte sie auch, dass der Umgang zwischen Chauffeur und Passagieren unpersönlicher geworden sei: «Früher schaute man einander in die Augen, grüsste sich, machte einen kleinen Witz», sagt sie im Interview. «Heute schauen alle nur noch auf ihr Handy.» Die Kommunikation habe gelitten.
Gute Nerven braucht es auch
Während 30 Jahre fuhr Marianne Wenger weitgehend unfallfrei. «Die Polizei musste nie kommen», sagt sie. Ganz ohne Malheur und Fehler ging es aber nicht ab: Kleinere Kratzer, Beulen oder ein abrasierter Rückspiegel, das kann schon einmal vorkommen. Kein Chauffeur ist fehlerlos. Denn bis man die langen Vehikel im Griff hat und mit einem Anhängerzug rückwärts manövrieren kann, braucht es sehr viel Routine. Und früher, vor dem Zeitalter von Hydraulik und Pneumatik, brauchte es auch viel Kraft. «Da musste ich das Lenkrad mit beiden Händen fassen, wenn ich wenden wollte», sagt sie. Auch der Komfort ist heute ein ganz anderer als früher: Als Marianne Wenger noch die Route auf den Belpberg fuhr, kam ab und zu ein alter Saurer mit Jahrgang 1959 zum Einsatz; ein äusserst zuverlässiges Fahrzeug zwar, aber das Schalten mit Zwischengas erforderte doch einiges an Gefühl und Konzentration – sonst knirschte es gewaltig im Getriebe.
Am liebsten fuhr Wenger auf den Belpberg, wenn es frisch geschneit hatte: «Beim ersten Kurs war die Strasse oft noch nicht geräumt, da habe ich gerne mit dem Postauto meine Spur in den Schnee gezogen.» Ihre heutige Strecke, Münsingen–Oberdiessbach, nimmt rund 20 Minuten in Anspruch, in den Stosszeiten kann die Fahrt aber vor allem in Münsingen zu einer Geduldsprobe werden. Drängelnde Pendler, verstopfte Strassen. «Da braucht es gute Nerven», sagt Wenger. Das Einhalten des Fahrplans wird unter diesen Umständen schwierig. Busfahrerinnen und Busfahrer beklagen sich zuweilen über unanständige Fahrgäste, malträtiertes Mobiliar oder Abfall auf den Sitzen. Das sei auf der Route Münsingen–Oberdiessbach kein grosses Problem, meint Marianne Wenger. «Das kommt wohl eher im Moonliner vor.»
Erstellt:
04.01.2017
Geändert: 04.01.2017
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