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Reformbäckerei Vechigen: Ganz anders. Aber nicht ganz am Ende
«Eine Ära geht zu Ende.» Unter diesem Titel verschickten Anna Hersberger und ihr Vater Patrik einen Brief an die Kundschaft der Reformbäckerei Vechigen: Ab Februar 2025 beliefern sie die 20 Bioläden rund um Bern nicht mehr mit ihren biologischen Holzofenbroten. Was aber bedeutet das für die Vechiger Kundschaft?
In der Backstube duftet es nach frisch gerösteten Sonnenblumenkernen. Dienstag ist Teigzubereitungstag, Bäcker Mario Marti mischt und knetet Brotteig für den Mittwoch: Roggenbrote, Dinkelsauerteig-, Früchte-, Sesam- und Emmerbrote wird er unter anderem backen, am Freitag auch vegane Züpfe.
Keine Auslieferung mehr
Die Teige werden nach einer langen Ruhezeit am nächsten Tag um vier Uhr in der Früh in den grossen Holzofen geschoben und gebacken, um die 270 Brote haben gleichzeitig im Ofen Platz. Im Lauf des Vormittags zieht das Backteam duftende Brotlaibe aus dem Ofen, von denen ein kleiner Teil in der Bäckerei Vechigen bleibt. Der weitaus grössere Teil wird im Lauf des Vormittags mit dem Lieferwagen an 20 Bioläden in und um Bern verteilt – noch bis Ende Januar 2025.
«In heutiger Form schliessen»
Danach wird in der Reformbäckerei Vechigen alles anders. «Nach vielen schlaflosen Nächten und Diskussionen haben wir entschieden, dass wir die Reformbäckerei per 31. Januar 2025 in ihrer heutigen Form schliessen werden», schreiben Geschäftsführerin Anna Hersberger und ihr Vater Patrik Hersberger in einer Mitteilung an die Kundschaft.
Und Vechigen?
Was aber bedeutet das für die Kund:innen aus der Region? «Vorerst einmal nichts», beruhigt Anna Hersberger: «Brotfenster und Brotkasten bleiben geöffnet, für unsere Vechiger Kundschaft backen wir in reduziertem Mass weiter.» Das Sortiment werde allerdings verkleinert, der Fokus auf Brot gelegt.
Corona und Strompreise überstanden...
Unerwartet kommt die Nachricht nicht: Schon im Mai verschickten die Hersbergers einen «SOS»-Flyer mit der Nachricht, dass sie dringend Fachpersonal für ihre Bäckerei suchen. «Corona haben wir überstanden, und auch die steigenden Strompreise», zählt Anna Hersberger im Gespräch auf. Auch, dass mit dem Konkurs von Reformhaus Müller Anfang 2023 ein wichtiger Kunde wegfiel, konnten sie kompensieren.
...auch Teuerung gehändelt...
Und sie händelten irgendwie, dass die Zutaten für die hochwertigen biologischen Backwaren immer teurer wurden. Und dass sie teils aufgrund von Ernteausfällen gar nicht mehr lieferbar waren, konnten sie auch auffangen, wenn auch mit Abstrichen: «Unsere veganen Birnel-Lebkuchen beispielsweise können wir dieses Jahr nicht backen, weil wir aufgrund von Ernteausfällen kein Birnel in Bioknospen-Qualität erhielten.»
...jetzt aber der Personalmangel
Jetzt aber brachte der Fachkräftemangel die Reformbäckerei defintiv zum Kippen. Als sich auch nach ihrem Aufruf niemand gemeldet habe, erzählt Anna Hersberger, hätten sie schweren Herzens beschlossen, den Betrieb zu reduzieren: «Seit dem Sommer backen wir nur noch an drei statt an fünf Tagen.»
Schwere Arbeit...
Warum es so schwierig ist, Bäcker:innen zu finden, setze sich aus verschiedenen Faktoren zusammen. An sich sei es eine schöne Arbeit an hochwertigen Produkten, sagt sie. «Aber es ist auch eine schwere Arbeit.» Aufwändiges Vorbereiten von Spezialteigen und Sauerteig, dann den Holzofen einfeuern und Nachtarbeit – das alles sei streng.
...und wenig Lohn
Auch, im Hochsommer bei 60 Grad am Holzofen zu arbeiten, sei nicht angenehm, fügt sie hinzu. Dennoch seien viele Leute nicht bereit, den Preis für ein hochwertiges Produkt zu bezahlen. «Daher können wir auch nicht Löhne bezahlen, die eine körperlich so strenge Arbeit aufwiegen.»
«Schönes und Duftendes»
Bäcker sein, sagt Mario Marti, habe durchaus schöne Seiten: «Ich fand es immer sehr befriedigend, einen Handwerksberuf zu haben, bei dem man von Grund auf alles macht», sagt er. Das Beste an seinem Job: «Es ist super, Brote und Züpfen in den Ofen zu schieben und dann als erster zu sehen, wie etwas Schönes, Duftendes rauskommt.» Er sehe auch jeden Tag, was er gemacht habe. Und Brot habe er schon als Kind geliebt, bis heute kann er sich ein Zmorge ohne Brot nicht vorstellen: «Ich freue mich immer, wenn wir zusammen im Team frisches Brot frühstücken und wenn ich dann eines mit nach Hause nehmen kann.»
Aber Ende halt schon schwierig
An das schwere Heben von Teig und vollen Blechen hat er sich nach Anfangsschwierigkeiten gewöhnt, «das ist wie ein Fitnesstraining». Auch das lange Stehen spüre man mit der Zeit weniger und geniesse dann umso mehr, müde ins Bett zu sinken. Aber, und das ist der Grund, warum auch Mario Marti unter den Bäckern ist, die aufhören, der Beruf habe tatsächlich seine Schattenseiten: «Man lebt oft neben anderen vorbei, und auch wenn man nachmittags schlafen geht, wird der Schlaf oft knapp, und das schlägt mit der Zeit auf die Psyche.»
Bäckermangel allenthalben
Den so entstandenen Fachkräftemangel merkt nicht nur die Reformbäckerei Vechigen: Allein in der Region Bern mussten im letzten Jahr etliche Bäckereien schliessen, beispielsweise die Bäckerei Meier in Worb oder die Bäckerei Hirschi in Bern. Hersberger bedauert die mangelnde Wertschätzung für den Beruf. «Schönes und Hochwertiges zählt in unserer Zeit nicht mehr», sagt sie. «Das ist eine gesellschaftliche Erscheinung.»
«Qualität bis zum Schluss»
Sie und ihr Vater hätten sich monatelang den Kopf zerbrochen, wie sie die Bäckerei trotzdem über die Runden bringen können. Jetzt aber haben die Herfords mit dem verbleibenden Team – drei Bäcker:innen, vier Allrounder:innen und dem Fahrer – entschieden, einen Schnitt zu machen. «Wir möchten im Guten aufhören und unsere Qualität bis zum Schluss hochhalten», schreiben sie im Kundenbrief.
«Lage spitzt sich zu»
Die Berner Bioläden reagieren mit Bedauern – und bekunden Mühe, guten Ersatz zu finden. «Die Lage der Bäckereien im Biobereich spitzt sich langsam zu», sagte beispielsweise Jan Müller vom Lola-Laden im Berner Mattenhof gegenüber der Berner Zeitung BZ: Vergleichbare Produkte seien schwierig zu finden.
Der Sauerteig lebt weiter
Seinen seit 38 Jahren gepflegten Sauerteig will Patrik Hersberger aber weiterhin ansetzen. Und ihn wie bis jetzt mittwochs, donnerstags und freitags mit Conni und Chrigä aus dem bestehenden Team weiter backen wie bis anhin und den Brotkasten in Vechigen füllen. «In Abklärung ist, ob wir noch einen externen Laden beliefern können», sagt er. Dann schmunzelt er und sagt nachdrücklich: «Was sicher sein muss: mehr Ferien!»
«Traurig – aber immerhin»
Genauere Informationen, wie es künftig mit dem Brotverkauf in Vechigen weitergeht, sollen folgen, heisst es im Kundenbrief. «Sicher ist jedoch, dass sich der Verkauf zukünftig auf Vechigen konzentrieren wird.» Das Team sei traurig über den Entscheid, freue sich aber «umso mehr, dass es zumindest für die Vechiger-Kund:innen weiterhin Brot geben wird».
Mühlibeizli aufbauen?
Gleichzeitig überlegt er, das Mühlibeizli neu zu beleben: Bislang ist es jeden letzten Sonntag im Monat geöffnet. «Vielleicht könnten wir das anpassen.» Geschäftsführerin Anna Hersberger, studierte Lebensmitteltechnologin, wird bei den Zukunftsplänen der Reformbäckerei allerdings nicht mehr offiziell dabei sein: «Ich werde mich beruflich neu orientieren.»
Zukunft offen
Ob die Reformbäckerei jemals wieder über Vechigen hinaus liefern wird, steht in den Sternen. «Es ist interessant», sagt Patrik Hersberger mit einem schiefen Lächeln. «Jetzt ertönt plötzlich von allen Seiten das Echo ‘das geht doch nicht’.» Das allein helfe jedoch nicht weiter. Trotzdem bleibt er leise optimistisch: «Man weiss nie, wie es weitergeht.» Ganz will er den grossen Holzofen, der vollwertige und duftende Brote bäckt, jedenfalls noch nicht ausgehen lassen.
[i] Brotkasten und Brotfenster der Reformbäckerei Vechigen bleiben für die Kundschaft aus der Region bis auf weiteres geöffnet. Bis Ende Januar 2025 liefert die Reformbäckerei noch Brot an folgende Bio-Läden der Region:
Gsund & Gnuss Worb, Kreuzgasse 15, 3076 Worb
Radiesli, Bodengasse 22, 3076 Worb
Drogerie Dreier Boll, Kernstrasse 1, 3067 Boll/BE
Erstellt:
16.11.2024
Geändert: 16.11.2024
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