- Kultur
Sensorium Walkringen: Im Reich der Sinne
Sonntagsausflug zum Sensorium Emmental, wo man ganz schön in die Irre geführt werden kann.
Es ist gut, wenn man den roten Faden findet. Und noch besser, wenn man ihn nicht mehr verliert. Das lehrt uns die altgriechische Mythologie.
Mit einem Faden rettete Ariadne, die Tochter des Königs Minos auf Kreta, dem Helden Theseus das Leben. Nachdem dieser sich ins Verlies des Minotaurus gewagt und das Ungeheuer getötet hatte, wies der Faden, den Ariadne ihrem Geliebten geschenkt hatte, den Weg aus dem Labyrinth in die Freiheit.
Wer das Kultur- und Erholungszentrum im hintersten Emmental finden will, steigt entweder in Worb ins Postauto – oder gibt als Autofahrer – «Walkringen» BE ins Navi ein. Auf dem Parkplatz wird er buchstäblich einen roten Faden entdecken, der ihn zum Sensorium Emmental führt – und direkt ins erste einer ganzen Reihe unterschiedlichster Labyrinthe, in den klassischen, dem mythologischen Vorbild nachempfundenen Kreta-Irrgarten.
Die Geschichte des Sensoriums Emmental ist nicht ganz so alt: Vor zwölf Jahren musste die Stiftung Rüttihubelbad ihr ehrgeiziges Hallenbadprojekt dem Rotstift opfern. Der Rohbau stand bereits, doch zur Vollendung kam es nicht – die Geldquelle war versiegt.
Siebzig Stationen locken zum Spielen und Staunen
Das Pech der Heilbadplaner war die Chance für die Initianten des Sensoriums Emmental. Statt Wasser aus den drei eigenen Quellen sprudelt jetzt ein Strom sinnlicher Ideen. Auf drei Etagen locken siebzig Stationen grosse und kleine Besucher zum Spielen mit rollenden Kugeln und farbigen Kreiseln, zum Staunen über die geheimnisvollen Gesetze der Natur.
Das kann simpel sein: Unter der Decke hängt an einem Drahtseil ein rundum geschlossener Korb mit einer kreisrunden Einstiegsluke; drin gibt sich ein Mädchen mit geschlossenen Augen dem Gefühl hin, frei schwebend durch Zeit und Raum zu pendeln.
Oder ganz schön kompliziert: Ein Mann lässt sich barfuss, die Augen geschlossenen, an der Hand über einen Parcours führen. Seine Fusssohlen ertasten Kieselsteine, Sand, Daunenfedern, Holzpellets, ein Metallgitter – und je nach Untergrund werden in der Tiefe des Körpers, mal anregend, mal unangenehm, verschiedene Organe stimuliert. Sie sind über ein Nervengeflecht mit den Rezeptoren in den Füssen verbunden.
Warum tragen wir Schuhe, wenn die nackten Füsse so viel besser «sehen» können? Die Antwort liegt nicht auf der Hand. Sie kommt vom Fuss: Weil du mich nicht spüren lassen, sondern so schnell wie möglich von A nach B gehen willst.
Das Labyrinth lehrt uns, dass der Weg vom Rand in die Mitte und umgekehrt nicht der Radius ist. Er mäandert über geheimnisvoll verschlungene Schlaufen, stellt Aufgaben, hält Überraschungen bereit.
So dreht sich die Sonderausstellung, die Frédéric Blanvillain, der kreative Kopf und administrative Leiter des Sensoriums, regelmässig inszeniert, in diesem Jahr um das Phänomen Labyrinth. «Das Labyrinth», sagt er, «symbolisiert unseren Körper: Die Nervenbahnen und das Gefässsystem, unser Gehirn und selbst die Gedärme – alles folgt dem Prinzip des geordneten Chaos, dem Labyrinth.»
Wer nichts sieht, kann besser spüren – wie beim Küssen
Im leeren Schwimmbecken und rund um dieses herum schickt Blanvillain den Besucher auf eine lustvolle Odyssee. Das eindrücklichste der vielen Labyrinthe heisst «Das Jahr im Dunkeln» – es schaltet den Gesichtssinn aus, damit sich die anderen Sinnesorgane entfalten können. In vollkommener Dunkelheit ertasten die Hände den Osterhasen und einen Sommervogel, die Ohren vernehmen Vogelgezwitscher und fernes Donnergrollen, die Nase nimmt Blütenhonig wahr und Veilchendüfte.
Das Mädchen, das schon im Pendelkorb die Augen geschlossen hatte, kommt ans Tageslicht zurück.
Hast du keine Angst gehabt da drin? «Nö!» Warum nicht? «Wenn ich nichts sehe, kann ich besser spüren.»
Jetzt wissen wir, warum Liebende, wenn sie küssen, die Augen schliessen. Und haben vor lauter Sinneseindrücken vergessen, wo das Auto steht.
Zum Glück gibt es draussen diesen roten Faden.
[i] Anreise: Mit dem Zug nach Worb, Postauto bis Enggistein, 15 Gehminuten zum Rüttihubelbad.
Eintrittspreise Erwachsene 18 Fr., Kinder 9 Fr., geöffnet Di. bis So., 9 Uhr bis 17.30 Uhr
Erstellt:
03.04.2016
Geändert: 03.04.2016
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