- Sport
Simon Moser - Am rechten Fleck
Simon Moser gibt dem Eishockey im Bernbiet ein Gesicht. Der 28 Jahre alte Schlosswiler war Captain in Langnau, nun ist er Captain in Bern – und steht vor seiner zweiten Olympiateilnahme.
Links klebt der Schnee an den Gipfeln. Rechts faltet sich in der Ferne der Jura auf. In der Mitte lehnt Simon Moser an eine Linde, dahinter wartet Hündin Mayla. Oben scheint die Sonne, unten ist die Welt in Ordnung.
Wenn Moser nach Ruhe sucht, findet er den Weg in die Heimat. Dann schlendert er die Lindenallee hinter dem Schloss Wyl entlang, mal mit der Freundin, mal mit dem Hund seiner Eltern, mal mit beiden. Weshalb hier? «Sie sehen ja selbst, wie schön Landschaft und Aussicht sind.»
Simon Moser, 28 Jahre alt, 187 Zentimeter gross, 97 Kilogramm schwer, einst Captain in Langnau, jetzt Captain in Bern, bodenständig, demütig. Er gibt dem Eishockey im Bernbiet ein Gesicht, einen Charakter. Längst ist Moser eine Figur des öffentlichen Interesses. Wenn er sagt, er sei ein ruhiger Typ, ist ihm der Zusatz «im öffentlichen Leben» wichtig. Sein drei Jahre älterer Bruder Stephan sagt: «Am wohlsten fühlt sich Simu im kleinen Kreis. Auf dem Eis ist er hart mit sich, mit dem Gegner, im Privaten ‹ä liebe Cheib› – die Mischung stimmt.»
Richten sich die Scheinwerfer der Aufmerksamkeit auf Moser, kleidet er sich in einen Mantel der Zurückhaltung. Nach Partien gibt er bereitwillig Auskunft, redet sich aber nie um Kopf und Kragen. Er trägt das Herz nicht auf der Zunge, sondern am rechten Fleck. Ein Schlüssel zu Mosers Persönlichkeit ist Schlosswil, seine Heimat. Was er mit dem Ort verbindet? «Erholung... und Erinnerungen» – Erinnerungen an die Leichtigkeit des Kindseins.
16. September 1998. Gümmenen. Interkantonales Junghornusserfest. Einzelschläger: 1. Simon Habegger (Utzigen) 30. 2. Iwan Schertenleib (Krauchthal) 28. 3. Michael Lehmann (Worb) 28. 4. Oliver Gysler (Oberbottigen) 27. 5. Simon Moser (Schlosswil) 26.
Zur ersten Erwähnung in einer Zeitung bringt es Simon Moser mit neun Jahren – als Hornusser. Mit den Brüdern Christian (heute 33 Jahre alt) und Stephan (31) verbindet ihn früh die Leidenschaft für Hornussen und Eishockey. Als wären zwei Sportarten nicht genug, spielt er noch Fussball beim SC Schlosswil-Grosshöchstetten. Beim Gang durch das Dorf zeigt Simon Moser auf die Schule, auf den Pausenplatz. Hier machen die Moser-Giele in jungen Jahren Eis, stellen Banden, spielen Eishockey mit den Nachbarsbuben. «Eine schöne Zeit», sagt Moser. Selbst wenn er als Jüngster aufs Dach kriegt. Stephan Moser erinnert sich: «Simu musste untendurch. Er wollte immer mitspielen, und als Jüngsten haben wir ihn meistens ins Tor gestellt.»
Die Affiche auf dem Pausenplatz lautet: Langnou gäge Bärn. Mosers Herz schlägt zuerst für den SCB; wegen des Vaters, der SCB-Fan ist, und weil der Schlosswiler und heutige Tigers-Sportchef Jörg Reber in dieser Zeit für den Stadtklub spielt. Reber verlässt Bern, Moser folgt den Brüdern nach Worb, später nach Langnau. Das weckt den Tiger in ihm. Als sich die Brüder in der ersten Mannschaft vereinen – Simon debütiert mit 18 Jahren –, werden sie zum Stolz des Dorfs. Mittlerweile sind Christian und Stephan nicht mehr auf höchster Stufe aktiv, sie spielen in Burgdorf. Stattdessen macht das Trio im Tennis gemeinsame Sache, tritt für den TC Langnau in der 3. Liga im Interclub an. «Ich habe den Brüdern viel zu verdanken. Von ihnen lernte ich, was es bedeutet, ein Teamplayer zu sein.»
Mehrere Wege führen nach Schlosswil. Rund 600 Einwohner, schön gelegen auf einer Hochebene zwischen Worb und Grosshöchstetten. Trotz vieler Zufahrten ist das geplante Fotosujet bei der Ortstafel mehr als eine Fingerübung, weil just ein Unbekannter die Finger nicht von den Tafeln lassen konnte. Drei sind abmontiert – aus Protest gegen die bevorstehende Fusion Schlosswils mit Grosshöchstetten. Zwar haben bei der Abstimmung 70 Prozent für die Vorlage gestimmt, dennoch spaltet der Beschluss das Dorf. Das Zweigeteilte gehört zum Ort, an dem das Wasser auf der einen Seite in die Aare und auf der anderen in die Emme fliesst. Wo sich das Wasser trennt, scheiden sich die Eishockeygeister. Schlosswil gilt als imaginäre Fangrenze, wobei der Puls ein My häufiger im Tigers-Takt schlagen dürfte. Dass Moser 2013 nach dem Abstieg mit Langnau zum SCB wechselt, wird nicht nur von Kopfnicken begleitet. «Mir gegenüber hat sich niemand negativ geäussert», sagt Moser. Er klettert auf den Stein mit dem einzigen verbliebenen Ortsschild. «Dä heisi äuä nid möge wägträge.»
Für Bern ist Mosers Verpflichtung 2013 ein Coup mit Vorbehalt. Vorbehalte gibt es auch gegenüber dem Spieler, der einen Zweijahresvertrag unterschreibt, aber offen mit dem Engagement in der NHL bei Nashville liebäugelt. Das erste Vertragsjahr verbringt Moser in Übersee, er kommt zu sechs NHL-Einsätzen. Nach der Rückkehr zieht er sich eine Muskelverletzung zu, später erkrankt er am Pfeiffer’schen Drüsenfieber. So kommt es, dass der Flügel erst 532 Tage nach seiner Unterschrift das erste Meisterschaftsspiel für Bern bestreitet. Es stammtischelt, Moser habe den Kopf in Bern, das Herz aber in Langnau. Die Anerkennung wird ihm nicht geschenkt, er verdient sie sich mit Kampfkraft in jedem Spiel, fällt nie unter ein gewisses Niveau. Lob und Erfolge kommen, Moser bleibt ein Arbeiter. Seit dieser Saison ist er gar Captain. Moser setzt sich auf eine Bank zwischen den Linden, hält Labrador Mayla mit Stockwürfen in Bewegung und zufrieden. «Ich bin keiner, der oft das Wort ergreift. Aber jeder weiss, dass er zu mir kommen kann.» Während Vorgänger Martin Plüss strikt zwischen Sport und Privatleben trennte, sich ausserhalb der Halle der Familie widmete, greift Moser häufiger zum Integrationsmittel Geselligkeit. «Es muss auch neben dem Eis stimmen, damit auf dem Eis jeder für den anderen geht.»
Auch beim Schweizer Nationalteam findet Moser das Glück mit Verspätung. 2011 verpasst die Auswahl bei seinem WM-Debüt die Viertelfinals, 2012 verletzt er sich an der WM in Helsinki schwer. 2013 gelingt ihm der Durchbruch: Beim Silber-Coup bildet Moser mit Plüss und Nino Niederreiter den ersten Angriff.
Bleibt der Berner gesund, ist er für die Olympischen Spiele im Februar 2018 gesetzt; auch, weil er als einer der wenigen Schweizer internationale Härte prästieren kann. «Wir haben eine Rechnung offen», sagt Moser. Seine ersten Spiele 2014 sind in zwiespältiger Erinnerung. In der künstlichen Olympiablase von Sotschi fühlt sich ein natürlicher Typ wie er nicht wohl. Das Drumherum enttäuscht und beeindruckt ihn zugleich. Sportlich missrät das Unterfangen mit der Niederlage im Achtelfinal gegen Lettland. In Pyeongchang werden die NHL-Spieler fehlen. «Ich habe oft gelesen, nun werde die Schweiz eine Medaille holen. Aber die Leistungen am Karjala-Cup haben uns deutlich aufgezeigt, wie die Realität aussieht.»
Das Thema Olympia bespricht Moser mit Vorbehalt. «Schliesslich ist meine Teilnahme nicht fix.» Lieber redet er über die Meisterschaft, über die Champions Hockey League. «Das sind zwei grosse Ziele. Leider sind wir im Schweizer Cup ausgeschieden.» Punkto Cup gibt es eine Episode, die aufzeigt, wie der Eishockeyprofi Moser funktioniert. Vor dem Viertelfinal gegen Biel verletzt er sich am linken Ellbogen, muss genäht werden. Coach Kari Jalonen ruft ihn an und fragt, wie die Mannschaft über den vermeintlich unwichtigen Cupwettbewerb denke. Für Moser, dem eine Pause gelegen käme, gibt es keine Zweifel: «Der Cup ist wichtig, spiele mit den Besten! Auf mich kannst du zählen.» Moser ist keiner, der sich schonen kann, schonen will. Weil er sich auf dem Eis an die Grenze treibt und stark schwitzt, ist der Flüssigkeitsverlust manchmal so hoch, dass er im Spiel Krämpfe erleidet. Umso wichtiger sind für ihn Momente der Regeneration. Auch Abschalten will gelernt sein. Moser tut dies zu Hause in Muri – «oder hier». Er schreitet von der Allee zurück in Richtung Schloss, wirft Mayla den Stock. «Z letschte Mau», sagt Simon Moser zur Hündin. Er wird den Stock drei weitere Male werfen.
Erstellt:
28.11.2017
Geändert: 28.11.2017
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