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Spital-Angestellte: «Es ist, als wäre jemand gestorben»

Die Schliessung des Spitals Münsingen trifft die rund 200 Mitarbeiter:innen hart und unerwartet. BERN-OST sprach mit einer von ihnen. Die Münsingerin Katharina Radosavljevic arbeitet seit 33 Jahren im Labor des Spitals und ist direkt betroffen. Zudem ist sie im Präsidium der Personalkommission der Insel-Gruppe, wo sie die Mitarbeiter:innen des Standortes Münsingen vertritt. Die Nachricht löste bei ihr nach dem Schock Trauer und Wut aus.

"Ich bin für den Patienten da bis zum letzten Tag, an dem wir da sind": Katharina Radosavljevic, Angestellte im Spital Münsingen und Personalvertreterin. (Bild: Isabelle Berger)

BERN-OST: Frau Radosavljevic, was sagen Sie zur Schliessung?

Katharina Radosavljevic: Es ist eine grosse Betroffenheit da.

 

Der Entscheid kam sehr kurzfristig. Haben Sie damit gerechnet?

Man musste damit rechnen, dass die Insel-Gruppe etwas machen musste, weil das Gesundheitswesen unter grossem Druck ist. Stellen Sie sich vor: Ein KMU, das nicht den gerechten Preis bekommt für seine Leistung, kann auch nicht existieren. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass zwei Standorte zugehen. Das und die Kurzfristigkeit machen persönlich sehr betroffen.

 

Es lief nicht wunschgemäss, wie die Mitarbeitenden informiert wurden.

Dazu kann ich einfach sagen, dass es wirklich nicht so geplant war. Wir von der Personalkommission wurden rechtzeitig informiert. Wir haben eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben. Ich kann bestätigen, was die Inseldirektion sagte: Es war nicht so geplant.

 

Wann, wo und wie haben Sie persönlich die Nachricht erfahren?

Ich habe es als Mitarbeiterin um 14.07 Uhr im Bund gelesen. Als Personalkommissionsmitglied wusste ich es vorher, gleichzeitig mit den Verbänden. Rechtzeitig, wie sie es machen mussten.

 

Wie haben Sie es erlebt, als die Leute die Nachricht erfahren haben? Welche Stimmung herrschte beim Personal?

Bevor man wusste, warum es nicht wie geplant lief, war ein grosser Unmut da.

 

Schon mal das und die Nachricht an sich….

Ja, es war beides. Einfach ein Schock für das Personal.

 

Wie ist es heute Morgen, am Tag danach? Wie geht es den Leuten? Wie geht es Ihnen?

Es ist, wie wenn jemand gestorben wäre. Als wäre ein 40-Tönner über einen gefahren. Und gleichzeitig hört man vom Personal: «Wir wollen an die Patienten denken. Wir wollen bis zum Schluss für die Patienten da sein.» Das gibt es in keiner anderen Branche. Das ist das Gesundheitswesen. Die Angestellten machen alles für den Patienten. Darum ist es auch noch nicht kollabiert.

 

Den Eindruck hatte ich auch, als ich vorher ins Spital reinkam. Alle sind immer noch hochkonzentriert, sie arbeiten…

Sehr. Es ist für uns das Höchste, dass es dem Patienten gut geht. Da sind wir vom Labor ein Teil davon. Mir geht es gleich. Ich bin für den Patienten da bis zum letzten Tag, an dem wir da sind.

 

Die Leute fragen sich jetzt natürlich: «Was bedeutet es für mich, dass das Spital zu geht?» Vielleicht haben Leute Operationen geplant in der nächsten Zeit. Wie geht es weiter?

Geplant ist, dass wir bis am 30. Juni offen haben. Und man versucht, das so gut wie möglich umzusetzen. Die Leute können auf den Notfall oder für Operationen kommen, wir sind in der genau gleichen Qualität für die Patienten da. Man muss nicht Angst haben.

 

Wird sich das Personal neue Jobs suchen, bevor der Tag der Schliessung da ist?

Das ist in der Natur der Sache. Es sind 1000 Schicksale. Jede dieser 1000 Personen – unabhängig von einer Jobgarantie – muss überlegen, wo ihr Weg hingeht.

 

Es heisst, dass ein Teil der Leute anderswo innerhalb der Insel-Gruppe weiterbeschäftigt werden kann. Wann weiss man, wer das sein wird?

Das läuft ab sofort. Erste Gespräche fanden bereits statt. Wir von der Personalkommission sind in ein Konsultationsverfahren eingebunden. Wir suchen im engen Austausch mit den Sozialpartnern das Gespräch mit den Mitarbeitenden, um jede Kündigung zu vermeiden. Wir haben einen guten Sozialplan. Die Direktion und die Insel-Gruppe sind sehr bemüht, dass man für alle eine gute Lösung findet. Das kann ich als Mitglied der Personalkommission bestätigen.

 

Wie ist es für Sie persönlich: Können Sie sich vorstellen, an einem anderen Standort arbeiten zu gehen?

Ich bin 33 Jahre da und ich bin da, weil der Job passt, aber es ist vor allem das Umfeld. Man ist wegen dem Umfeld lange an einem Ort. Wir sind durch dick und dünn gegangen, füreinander eingestanden. Natürlich, an einen anderen Ort arbeiten zu gehen, das geht. Aber es ist emotional, man verliert ein Team.

 

Was bedeutet es für Münsingen, dass es dieses Spital nicht mehr geben wird?

Für die ältere Bevölkerung ist es ein Verlust. Diese Leute sind nicht so mobil. Klar, ist man schnell in Bern oder Thun. Aber es ist ein Teil der Lebensqualität. Man hatte hier eine qualitativ hohe Grundversorgung mit der Anbindung ans Zentrum.

 

Es hat ja auch viele Heime hier in Münsingen. Was heisst es für diese?

Die werden wohl weniger schnell jemanden finden, der ihre Patienten aufnimmt, wenn es ihnen schlecht geht. Ich sehe zu wenig dahinter. Aber es hat immer mehr Heime hier. Gerade mit der Senevita. Das ist ein grosser Player. Es würde mich wundernehmen, was die sagen.

 

Was ich mich auch frage: Gibt es ein Zeichen der Solidarität von der Gemeinde Münsingen?

 

Was würden Sie erwarten, wie könnte dieses Zeichen aussehen?

(Überlegt lange). Ich weiss es nicht. Am Abend ein Mahnfeuer da draussen? Die Leute, die hier arbeiten, identifizieren sich mit dem Standort. Wenn gar nichts käme von der Politik oder von der Gemeinde, dann würde man sagen, ok, wir sind halt doch kein Dorf, sondern eine Stadt. Ich glaube, das Personal würde es wahnsinnig schätzen, wenn ein kleines Zeichen käme. Ich hoffe einfach, dass man die Situation zumindest zur Kenntnis nimmt.

 

Gibt es etwas, das sie noch loswerden wollen?

Ja. Meine grösste Wut ist auf die Politik. Der Kanton hat vor acht oder neun Jahren beschlossen, dass die Spitalnetz Bern AG mit der Insel fusioniert werden soll, um den Medizinstandort Bern zu stärken. Der Kanton hat auch einen Grundversorgungsauftrag vom Bund. Der Kanton wusste, dass die Spitallandschaft gestrafft werden muss und hat diesen Job nicht gemacht. Den musste dann die Direktion und der Verwaltungsrat der Insel-Gruppe machen. Das ist feige. Das ist nicht richtig. Ich habe mich gefragt, wo ist Herr Schnegg? Ich hätte ihn in der Tiefenau oder hier erwartet.

 

Man lässt einen Betrieb wie die Insel-Gruppe, der unter dem Fachkräftemangel leidet, nicht einfach im Regen stehen. Das macht mich wütend. Man musste Betten zutun, die Bevölkerung hat die Pflegeinitiative angenommen und gesagt «Wir wollen das nicht...» Das ist meine persönliche Meinung, nicht als Mitglied der Personalkommission. Ich war froh, dass Herr Pulver nochmals darauf hingewiesen hat: «Die Politik hat die Aufgaben nicht gemacht». Man schiesst keinen roten Rappen ein. Andere Kantone decken die Defizite, weil es eine schwierige  Situation ist. Wenn man denkt, was ein geschlossenes Bett uns kostet. Ich bin auch wütend auf die Krankenkassen. Die kommen mit Tarifvorschlägen, die nicht tragbar sind. Ich leide selbst auch unter den hohen Krankenkassenprämien, aber ich weiss, dass es nicht einfach ist. Doch dass man einfach so weitermacht, wie bis anhin? Ich frage mich: Wann kommt das endlich an?


Autor:in
Isabelle Berger, info@bern-ost.ch
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Erstellt: 23.03.2023
Geändert: 24.03.2023
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