- Kultur
Stettlen - "Lampenfieber versuche ich nicht zu verdrängen"
Die 68-jährige Berner Pianistin Silvia Harnisch sucht das Harmonische in der Musik und sieht darin auch eine spirituelle Dimension.
Sie setzt sich an den Steinway-Flügel und spielt einige Takte eines Stücks von César Franck. Silvia Harnisch wird es an einer Buchvernissage vortragen: ein Abend mit Gedichten, umrahmt von Klaviermusik (Hinweis im Kasten). Bei Tee und Güezi blickt die 68-jährige Pianistin zurück. Wann wusste sie, dass die Musik in ihrem Leben eine tragende Rolle spielen wird? «Als ich sechs Jahre alt war, kam ich mit meiner Mutter in eine Kirche», erzählt Harnisch. «Die Sonne schien durch die farbigen Fenster und malte Muster auf den Boden, dazu spielte die Orgel.» Es sei die erste bewusste Erfahrung mit Musik gewesen. Klangfarben und Farben als Musik: Dieser Zusammenhang hat sich bei ihr eingeprägt. Harnisch liebt die Kunstmalerei, auch wenn sie selbst, wie sie sagt, in dieser Kunst nur bescheidene Versuche unternommen hat. Doch das Interesse ist gross, auch an Literatur. «Die Musik führt bei mir kein isoliertes Leben.» Als Mädchen habe sie sich mit etwa sieben Jahren ans Klavier gesetzt, damals in Stettlen, wo sie noch heute wohnt. Als Zwölfjährige wollte sie Pianistin werden, zweifelte aber angesichts des Elends in der Welt daran, ob es nicht vordringlichere Aufgaben zu erfüllen gäbe. Mit 15 spielte sie schon anspruchsvolle Werke von Beethoven, und als junge Frau um die 20 war ihr klar: Ich werde Pianistin.
Eine Regel besagt, dass nur ein strenger Musiklehrer ein guter Musiklehrer ist. Harnischs Lehrer war nicht streng, leider, wie die Pianistin anfügt. Spätere Lehrer im Konservatorium Bern hätten ihr dann gewisse «Mödeli» abgewöhnen müssen. Später erteilte Harnisch selber Klavierstunden. Ist es nicht nervig, sich zigmal anzuhören, wie ein Eleve den «Fröhlichen Landmann» von Schumann zerhackt? Nein, sagt Harnisch. Sie habe gerne Klavierunterricht erteilt. Manchmal gefiel es dafür dem Schüler nicht. So habe eine Schülerin einmal auf die Anweisung, das Stück auf nächste Woche nochmals zu üben, vor sich hingemurmelt: «Das isch doch e Seich.»
Wie hat es Silvia Harnisch vor Konzerten mit dem Lampenfieber? «Darunter kann man wirklich leiden. Ich versuche, das Lampenfieber nicht zu verdrängen, sondern zuzulassen und anzunehmen», sagt sie, «dann legt es sich kurz vor dem Konzert.» Die Musikerin liebt das Auditorium, das Publikum, das still mit der Künstlerin kommuniziert: «Es ist wie ein Gespräch.»
Für Harnisch hat der Musikerberuf auch eine soziale Seite. So tritt sie oft auch bei Seniorenanlässen auf. «Diese Leute sind oft nicht mehr in der Lage, selbst ein Konzert zu besuchen oder eine Musikreise ins Ausland zu unternehmen.» Sie nehme diese Auftritte ernst und erscheine oft bewusst im Konzertrock, um den Zuhörern die Atmosphäre eines Konzertsaals zu vermitteln. Da gab es diesen Mann im Publikum. Der Schwerstkranke hatte die Sprachfähigkeit weitgehend eingebüsst. Nach dem Konzert habe er nur ein Wort gesagt: «Schön.» Das sei eines der schönsten Komplimente für sie gewesen, sagt Harnisch.
Die Künstlerin hat ein feines Gespür für solche Dinge. Und für die Dinge hinter den Dingen. Es fasziniert sie, dass es mathematische Analogien gibt zwischen der Ordnung am Sternenhimmel und den Tonarten eines Stücks von Bach oder dem Aufbau eines Baumblatts. «Die Schwingungen der Musik sind der Beginn der unsichtbaren Welt», sagt die Pianistin. Von daher ist es kein Zufall, dass Johann Sebastian Bach wie für viele Komponisten auch für sie der «Vater aller Musiker» ist, in dem «alles enthalten» sei. Jener Bach, der auf Notenblättern stets den Vermerk anbrachte: «S. D. G.» - Soli Deo Gloria, Gott allein die Ehre.
Die Künstlerin hat ein feines Gespür für solche Dinge. Und für die Dinge hinter den Dingen. Es fasziniert sie, dass es mathematische Analogien gibt zwischen der Ordnung am Sternenhimmel und den Tonarten eines Stücks von Bach oder dem Aufbau eines Baumblatts. «Die Schwingungen der Musik sind der Beginn der unsichtbaren Welt», sagt die Pianistin. Von daher ist es kein Zufall, dass Johann Sebastian Bach wie für viele Komponisten auch für sie der «Vater aller Musiker» ist, in dem «alles enthalten» sei. Jener Bach, der auf Notenblättern stets den Vermerk anbrachte: «S. D. G.» - Soli Deo Gloria, Gott allein die Ehre.
Moderne Musik ist nicht Harnischs Ding, wie sie unumwunden zugibt. Wieso sollen in einer disharmonischen Welt auch Musik, Bilder oder Skulpturen disharmonisch sein, fragt sie rhetorisch. «Ich will, dass die Menschen Harmonie verspüren und nach einem Konzert seelisch bereichert nach Hause gehen.» Sie anerkenne aber, dass sich Hörgewohnheiten änderten, sagt Harnisch: So stiess sogar Übervater Bach bei zeitgenössischen Zuhörern auf Unverständnis, so mit der Matthäus-Passion, die heute als ein Eckpfeiler des abendländischen Musikschaffens gilt.
Silvia Harnisch
Erzählend Klavier spielen
Silvia Harnisch
Erzählend Klavier spielen
Die 68-jährige Silvia Harnisch wurde in Stettlen geboren, wo sie noch heute in einem ehemaligen Bauernhaus wohnt. Die Konzertpianistin, die das Konservatorium Bern absolvierte und sich in Paris, Luzern, Bern und Wien weiterbildete, gibt pro Jahr etwa 50 Konzerte. Sie hat zahlreiche CD-Einspielungen vorgelegt, die sie meist in Kirchen aufnimmt, so etwa in der Kirche Blumenstein. Sie liebe die sakralen Orte viel mehr als die Sterilität eines Tonstudios, sagt die Pianistin. Konzerte beginne und vollende sie mit einem Werk von Johann Sebastian Bach, dem «Vater aller Komponisten». Weitere Schwerpunkte in ihrem Schaffen bilden Werke von Ludwig van Beethoven, Frédéric Chopin, César Franck, Robert Schumann und Franz Liszt. Dieser gibt der neuesten CD «Sonnengesang» den Namen, Liszts Stück bezieht sich auf Franz von Assisi. Die CD ist erhältlich beim Musikverlag Müller und Schade (www.mueller-schade.com) in Bern. Harnischs nächster Konzertauftritt findet am Freitag, 17. Januar, um 19 Uhr in der Nydeggkirche statt, verbunden mit einer Lesung. An der Buchvernissage liest Michaela Wendt Gedichte von Marlies Ammann.
Autor:in
Markus Dütschler, "Der Bund"
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Erstellt:
13.01.2014
Geändert: 13.01.2014
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