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Stettlen: «Notfalls trage ich das Bike den Berg hoch!»
Anfang 2024 gilt es ernst: Christian Kaderli (GLP) wird neuer Gemeindepräsident von Stettlen. Wir wollten herausfinden, was den 50-Jährigen dazu gebracht hat und was er bewirken will? Ob ihm das neue Amt Gedanken bereitet? Und vor allem wollten wir versuchen, nebst Kaderlis beruflicher und politischer Seite auch etwas von seiner privaten Seite zu entdecken.
Herr Kaderli, was wollten Sie als Kind werden?
Bauer! Als Kind verbrachte ich jede freie Minute auf einem Bauernhof. Das fand ich immer wahnsinnig spannend, weil der Alltag dort so anders war als bei uns zu Hause. Mein Vater arbeitete auf der Berner Kantonalbank, und daher war das Zusammenleben mit der Bauernfamilie für mich sehr spannend: Draussen arbeiten, sehen, was Bauern im Lauf eines Jahres anpacken, und dieser sehr direkte Umgang miteinander bei der täglichen Arbeit – das gefiel mir so gut, dass ich mir meine Zukunft auch so ausmalte. Aber ohne Hof in Aussicht war das keine gute Option.
Tatsächlich sind Sie dann doch nicht Bauer geworden.
Mit dem Erwachsenwerden veränderte sich auch mein Blick, beispielsweise auf die Säulizucht, das Mästen und Metzgen. Ich esse heute nur noch sehr wenig und sehr bewusst Fleisch. Mit der Bauernfamilie blieb ich aber eng verbunden: Als 16-Jähriger, frisch konfirmiert, wurde ich sogar Götti ihrer zweiten Tochter. Und weil auf dem Bauernhof oft auch Lastwagen vorfuhren, wurde Lastwagenfahrer zu meinem neuen Traumberuf. Meine Eltern rieten mir stattdessen zu einer Lehre als Lastwagenmechaniker. So absolvierte ich in Schönbühl diese Lehre und machte dort auch gleich die Lastwagenprüfung.
Sie wurden also Lastwagenfahrer?
Nein, bei der Arbeit in der Werkstatt veränderte sich wiederum mein Blick: Die Mechaniker sind manchmal uneins mit den Chauffeuren, die «alles kaputtmachen», und man gehört entweder zu den einen oder zu den anderen. Ich blieb also bei den Mechanikern. Nach der Lehre erhielt ich die Gelegenheit, als Betriebsmechaniker eines Kies- und Betonwerks mein eigener Chef zu sein. Später wechselte ich in eine Autogarage und machte den Fachausweis als Automobildiagnostiker.
Das klingt, als hätte sich Ihr Werdegang ziemlich problemlos gestaltet…
Tatsächlich ergab sich bei mir immer schön eines aus dem anderen: Nach der Meisterprüfung wurde ich Werkstattleiter beim Regionalverkehr Bern-Solothurn RBS. Ich bildete mich immer weiter, unter anderem zum Manager öffentlicher Verkehr, und übernahm schliesslich die Gesamtleitung des Busbetriebs beim RBS. Ich habe immer gemacht, was mir gefällt und mich in diese Richtung weiterentwickelt.
Und wie kamen Sie zur Politik? Gab es ein Ereignis, das Ihr Interesse weckte?
Ich besuchte in Fraubrunnen dieselbe Sekundarschulklasse wie Matthias Ogi, der verstorbene Sohn von Alt-Bundesrat Adolf Ogi. Noch lebhaft erinnere ich mich, wie eines Tages der damalige Nationalrat Ogi zu uns in die Schule kam und unserer Klasse die Wahlzettel samt allen Feinheiten rund ums Panaschieren und Kumulieren erklärte. Von da an verfolgte ich immer interessiert, welche Themen Ogi als Bundesrat behandelte. Seither hat mich das Interesse für Politik eigentlich immer begleitet. Politik spielt ja auch in meinem Beruf eine wichtige Rolle: Finanzierungsmodelle auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene oder Verkehrspolitik im Allgemeinen – solche Themen liegen mir schon lange am Herzen.
In Stettlen traf man Sie allerdings zuerst nicht im Gemeinderat an, sondern in der Feuerwehr. Wie kam das?
Ich zog vor über 20 Jahren mit meiner heutigen Ehefrau vom Berner Rossfeld nach Stettlen, zuerst in eine Wohnung, dann in unser Haus. Ich kannte überhaupt niemanden hier, war nicht verbunden mit der Gemeinde und überlegte: «Was kann ich tun, um hier heimisch zu werden?» Als Möglichkeiten boten sich Verein, Politik und Feuerwehr an. Ich wählte die Feuerwehr. Das schien mir bei meinem Beruf sehr naheliegend. Und es war super: Die Feuerwehr ist ein wichtiger sozialer Wert. Ich traf Leute aus der Verwaltung, vom lokalem Gewerbe oder vom Werkhof, viele sehr engagierte Menschen. Dadurch bin ich sehr schnell richtig angekommen in Stettlen, und inzwischen fühle ich mich längst mit der Gemeinde verbunden.
Hatten Sie in Ihrer Feuerwehrzeit auch Ernstfälle zu bewältigen?
Sehr oft rückten wir für Elementarereignisse aus, Überschwemmungen beispielsweise. Wir haben aber auch Ölspuren von der Strasse beseitigt und tatsächlich ein paar Brände gelöscht. Noch im Oktober, nur eine Woche vor den Wahlen, rückten wir zu einem Brand in der Nachbarsgemeinde Vechigen aus. Anfangs nahm ich alle zwei bis drei Wochen an einer Feuerwehrübung teil – und natürlich gingen wir danach immer zusammen etwas trinken. Seit ich im Gemeinderat bin, habe ich noch an ungefähr zehn Übungen pro Jahr teilgenommen.
Und nun wechseln Sie ganz in die Politik. Warum?
Ich fand die Feuerwehr 15 Jahre lang megacool. Dann jedoch schien mir, dass es mit 50 Jahren auch mal gut war damit. Politik ist auch toll. Und ich treffe lustigerweise immer wieder dieselben Leute an, die sich für die Gemeinde engagieren! Ende Jahr habe ich jetzt die Brandschutzkleider abgegeben.
2019 wurden Sie mit dem zweitbesten Resultat in den Gemeinderat gewählt, seither engagieren sie sich in den Ressorts Öffentliche Sicherheit / Landwirtschaft / Kultur. Was fasziniert Sie an der Gemeindepolitik?
Im Dorf, auf diesen rund 3,5 Quadratkilometern, kann ich wirklich etwas mitgestalten. Das finde ich sehr spannend. Ausserdem gefallen mir die Nähe und die Überblickbarkeit: Hier sind die Prozesse nachvollziehbar und die Aufgaben konkret.
Was möchten Sie verändern?
Es geht mir nicht darum, prinzipiell etwas zu verändern. Die Aufgaben liegen da, und mit dem Gemeinderat zusammen muss ich sie erfüllen.
Stehen demnächst wichtige Aufgaben an?
Die aktuell grösste Aufgabe sehe ich in der Ortsplanungsrevision. Diese wird wohl gleich an der ersten Gemeindeversammlung zur Abstimmung kommen. Mir ist es wichtig, offen und klar zu kommunizieren. Dabei hilft es mir, dass ich mich als Betriebsleiter bereits gewöhnt bin, mir zu überlegen: Was ist den Beteiligten wichtig, welche Interessen haben sie?
Gibt es andere Themen, die Ihnen bereits im Kopf umhergehen?
Der Wasserbauplan. Er steht im Zusammenhang mit der Ortsplanungsrevision und wird zum Teil sehr emotional diskutiert. Der Umstand, dass Wasser gesteuert zurückgehalten- und somit Landwirtschaftsland als Rückhaltebecken genutzt werden soll, freut natürlich keinen einzigen der betroffenen Bauern. Die vorgesehene Entschädigung für Ernteausfälle ist für sie nur ein kleiner Trost. Mir ist es wichtig den Nutzen dieses vom Kanton vorgegebenen Projekts aufzuzeigen. Nebst dem Hochwasserschutz sehe ich eine grosse Chance den Gewässerbereich aus ökologischer Sicht aufzuwerten und somit einen Beitrag zur Förderung der Biodiversität zu leisten.
Können Sie künftig als Gemeindepräsident mehr befehlen? Oder wie werden Sie auftreten?
Es geht mir überhaupt nicht darum, den Leuten etwas aufzuschwatzen oder weiszumachen, sondern strategisch zu denken: Was brauchen wir in 20 Jahren, damit das Dorf lebt und nicht bloss zu einem Verkehrsschlauch oder zu einem Schlafdorf verkommt? Wir brauchen eine gute Ortsplanung und müssen sicherstellen, dass Restaurants und Läden nicht einfach verschwinden.
Für Ihre Entscheidungen werden Sie wohl nicht immer Lob ernten: Können Sie mit Kritik umgehen?
Die Reaktionen auf den geschlossenen Dorfladen waren teils krass. Von «einer Ghettoisierung des Dorfes» wurde geredet, und Aussagen wurden laut à la «Was hat der Gemeinderat da wieder angestellt!» Darum: Ja, mit Kritik in diesem Rahmen kann ich umgehen. Wir hatten als Gemeinderat weder auf die Schliessung noch auf die Wiedereröffnung des Ladens einen direkten Einfluss. Und wir sind alle dankbar, dass der Laden mittlerweile wieder offen ist.
Immerhin können Sie als Mitglied der GLP vielleicht verbindend wirken. Haben Sie sich aus diesem Grund für diese Partei entschieden?
Ich möchte meine Gesinnung zeigen, und mit den Grünliberalen deckt sich meine Meinung sehr oft. Nicht zu 100 Prozent, aber mindestens zu 70: Wichtige Themen sind Umwelt, liberale Wirtschaftspolitik und eine fortschrittliche Haltung punkto Gesellschaftsfragen – insgesamt passe ich gut in diese Partei, der ich vor fünf Jahren beigetreten bin. Mal finde ich mich eher im einen Flügel wieder, mal im anderen.
Anfang Januar treten Sie das Amt an, das Ihr Vorgänger Lorenz Hess während 23 Jahren innehatte und prägte. Macht Ihnen das Angst oder spornt es Sie an?
Darüber mache ich mir gar keine allzu grossen Gedanken. Ich habe nicht den Anspruch, gleich oder ähnlich zu sein wie Lorenz Hess: Er als Nationalrat und Kommunikationsprofi trägt tatsächlich eine ganz andere Schuhnummer. Ich denke allerdings nicht «Was würde er jetzt machen?», sondern: «Was macht für die Gemeinde Sinn?» Ich werde das gerne mit dem Gemeinderat diskutieren und hoffe, dass mir die 25 Jahre Erfahrung in Führungsarbeit genug helfen. Und ich traue mir zu, dass ich menschlich und mit Empathie auf andere zugehen kann.
Bei so viel Verantwortung: Steckt trotzdem noch ein Stück Kind in Ihnen?
Ich gehe grundsätzlich optimistisch und positiv in die Welt hinaus und glaube, dass die Welt trotz Ukrainekrieg und Palästinakonflikt nicht nur schlecht ist. Wir tragen alle Verantwortung dafür, wie wir miteinander umgehen, und ich finde, dass wir an sich gut unterwegs sind. Diese Haltung macht für mich Sinn. Zwar werde ich halt ab und zu enttäuscht, aber das ist mir lieber, als stets in einer negativen Erwartung zu leben. Es passt auch zu meiner Grundhaltung: Immer etwas zu tun, das mir Freude macht.
Das ist gut, denn allzu viel Freizeit bleibt Ihnen jetzt wohl nicht mehr?
Das ist alles meine Freizeit! Ob Feuerwehr, Gemeinderat oder jetzt dann Gemeindepräsident: Ich tanke bei allem, was ich mache. Es hat mich nie genervt, an einer Feuerwehrübung teilzunehmen oder im Gemeinderat zu sitzen statt vor dem Fernsehen. Ich habe mich für diese Aufgaben entschieden, weil ich sie gern mache.
Das heisst, sie sind zugleich Ihre Hobbys?
Ein Teil davon. Ich fahre auch gern mit dem Mountainbike in die Berge, bin Mitglied in einem Veloclub und betätige mich als Trailprotector: Drei bis vier Mal pro Jahr schaufeln wir im Wald die Radwege frei – natürlich immer in Absprache mit den Grundeigentümern. Von den Erfahrungen, die ich dabei mache, kann ich wiederum für meine Tätigkeit profitieren: Eine Mountainbike-Panne ist nicht angenehm, aber notfalls trage ich halt das Bike den Berg hoch. So pragmatisch will ich auch als Gemeindepräsident Probleme anpacken.
Wie kann ich mir einen Tag von Christian Kaderli vorstellen?
Um sechs Uhr beginne ich den Tag ganz für mich alleine mit einer halben Stunde Yoga. Dann fahre ich mit dem «Bähnli» oder im Sommer per Velo zur Arbeit nach Worblaufen. Ich bin für zwei Busbetriebe mit insgesamt 90 Fahrzeugen und 250 Mitarbeitenden verantwortlich, kümmere mich um dem Fahrbetrieb, das Personal und Spezialprojekte wie beispielsweise Elektromobilität. Mein Arbeitspensum reduziere ich allerdings mit dem Jahresanfang auf 80 Prozent, damit auch Zeit für die Familie bleibt. Das ist mir sehr wichtig.
Und in welcher Stimmung starten Sie in das neue Jahr mit dem neuen Amt?
Ich freue mich und sehe einen Haufen spannender Aufgaben vor mir. Im Gemeinderat herrscht eine gute Stimmung, darin sitzen gute Leute, die gut zusammenpassen – ich freue mich, mit ihnen zusammen die Herausforderungen anzugehen!
[i] Christian Kaderli (50)
Beruflich ist der neue Gemeindepräsident von Stettlen seit 24 Jahren Leiter Busbetriebe RBS. An Wochenenden oder in den Ferien trifft man ihn im Garten, in den Bergen am Wandern oder beim Mountainbiken. Kaderli ist verheiratet mit Ehefrau Susanna, die beiden sind Eltern von Tochter Mara (20).
Erstellt:
29.12.2023
Geändert: 02.01.2024
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