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Strompreise: Richigen ist teuerstes Dorf der Schweiz

Unter allen Dörfern der Region trifft es Richigen am härtesten: Die Strompreise steigen nächstes Jahr um fast 180 Prozent, während sie in Worb nahezu gleich bleiben. Wie kam es dazu?

Richigen hat eine eigene Stromversorgung. (Bilder: Michelle Thönen)
Die Licht- und Kraftgenossenschaft Richigen hat das alte Feuerwehrmagazin gekauft.
Stromverteilkasten in Richigen.

In der Region Bern-Ost treffen die steigenden Strompreise den Worber Ortsteil Richigen mit Abstand am härtesten. Während das übrige Worb von den fast gleichbleibenden BKW-Tarifen profitiert, zahlen die Richiger:innen nächstes Jahr ganze 175 Prozent mehr für ihren Strom. 27.79 Rappen kostet eine Kilowattstunde Strom dieses, 76.42 Rappen wird sie nächstes Jahr kosten.* Auch schweizweit hält Richigen den Rekord. Die nächstbilligere Gemeinde zahlt 12,6 Rappen weniger.

 

Für eine vierköpfige Familie** bedeutet der Preisanstieg Mehrkosten von 2184 Franken pro Jahr.

 

"Bei uns kam es zum Worst Case"

"Bei uns kam es zum Worst Case Szenario", sagt Stefan Hagen. Er sitzt im Vorstand der Licht- und Kraftgenossenschaft Richigen, die den Worber Ortsteil Richigen mit Strom versorgt. Was ist passiert?

 

Eigene Stromversorgung für Richigen

Die Licht- und Kraftgenossenschaft wurde 1903 gegründet, um Richigen schnell ans entstehende Stromnetz anzuschliessen. Anders als viele andere Dörfer und Gemeinden blieb Richigen aber bis heute bei seiner eigenen Stromversorgerin.

 

"Wir wollen das lokal erarbeitete Geld lokal ausgeben", sagt Hagen. Die Genossenschaft produziert selber keinen Strom. Sie kauft ihn bei anderen Energieunternehmen ein und verteilt ihn an die Richiger Haushalte. Den Gewinn investiert sie in die Dorfgemeinschaft. Etwa in den Umbau des ehemaligen Feuerwehrmagazins in ein gemeinsames Archiv für die Richiger Vereine. Mitglied kann werden, wer in Richigen Wohneigentum besitzt und auch selber bewohnt.

 

Pech, dass der Vertrag abläuft

Lange ging es Richigen gut mit seiner eigenen kleinen Stromversorgung. Die Genossenschaft fährt beim Stromeinkauf keine besonders riskante Strategie. Sie schliesst Verträge ab über drei Jahre. In den letzten Jahren war der Strompreis in Richigen stabil, erst 2022 gab es einen kleinen Anstieg. Das grosse Pech: Genau für 2023 war ein neuer Vertrag fällig.

 

"Wir fingen im Februar an, Offerten einzuholen", erzählt Hagen. "Damals waren die Preise doppelt so hoch wie normal, und wir beschlossen deshalb, den Frühling abzuwarten, weil sie dann normalerweise sinken." Das war in diesem Jahr nicht der Fall. Ende Februar griff Russland die Ukraine an. Mit dem Krieg kamen die hohen Gaskosten, die auch den Strompreis weiter in die Höhe trieben.

 

Die Preise stiegen und stiegen...

"Wir hofften, dass sich die Lage in der Ukraine nach drei Monaten beruhigt", schaut Hagen zurück. Doch der Strompreis stieg und stieg und stieg ..." Irgendwann zog man die Reissleine und unterschrieb einen Vertrag mit den Aargauer Elektrizitätswerken.  Zu einem Preis, der fast dreimal so hoch ist wie in den Jahren 2020 bis 2022. Die Preise seien danach weiter gestiegen, sagt Hagen. Hätte man noch länger zugewartet, wäre es nicht besser geworden.

 

Damit die Richiger:innen nicht die nächsten drei Jahre unter dem hohen Preis leiden, schloss die Licht- und Kraftgenossenschaft nur einen Jahresvertrag ab. Das heisst, sie rechnet damit, dass die Preise für Strom wieder sinken und sie wieder vorteilhafter einkaufen kann.

 

Normalisiert sich die Situation?

Davon ist Stefan Hagen überzeugt. "Der Gaspreis wird sich irgendwann normalisieren." Ausserdem diskutiere man in der EU über die Entkopplung von Gas- und Strompreis, was die Lage ebenfalls entschärfen werde.

 

Darüber, dass sie nächstes Jahr massiv mehr zahlen für ihren Strom, wurden die Richiger:innen von der Genossenschaft per Brief informiert. Auch eine Infoveranstaltung ist geplant.

 

* Tarif für Kleinverbraucher bis 50'000 kW/h, Modell Easy Light mit Einheitstarif. Der Preis pro kWh setzt sich zusammen aus: Energie, Netznutzung und Abgaben, inkl. MwSt. Dazu kommt der Grundtarif (pro Jahr und Zähler).

 

**Jahresverbrauch durchschnittlicher 4-Personen-Haushalt: 4'500 kWh. Für Einfamilienhäuser liegt der Verbrauch meist höher, für Wohnungen tiefer.

 

[i] Die Tarife aller Schweizer Gemeinden gibt es bei der Elcom (Eidgenössische Elektrizitätskommission). Für die dortigen Grafiken wurde ein Durchschnittstarif je Netzbetreiber errechnet. Die Zahlen sind deshalb anders als in diesem Artikel und der unten verlinkten Übersicht über die Region.


Autor:in
Anina Bundi, anina.bundi@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
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Erstellt: 07.09.2022
Geändert: 07.09.2022
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