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Unihockey NLA - Fast eine Weihnachtsgeschichte

Quelle
Berner Zeitung BZ

Johan Samuelsson, Captain des schwedischen Nationalteams, spielt in dieser Saison mit seinem Bruder Anton für die Langnauer Tigers. Was auf der Verbindung zu Sportchef Marc Dysli beruht.

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Wiedersehen in Biglen: In Umea standen Johan Samuelsson, Marc Dysli und Anton Samuelsson (v. l.) gemeinsam auf dem Feld, nun hat der Sportchef die Schweden zu den Tigers geholt. (Bild: Marcel Bieri)

Auf einer Anhöhe über der Espace-Arena machen sich die Protagonisten für das Fotoshooting bereit. Die Aussicht sei wunderbar, sagt Johan Samuelsson. «Hier ist es einfacher, sich zurechtzufinden, als in einer Stadt», meint Anton Samuelsson. Die Brüder stammen aus Sundsvall, der 50 000-Einwohner-Stadt 400 Kilometer nördlich von Stockholm. Seit August wohnen sie in Biglen, jenem 1700-Einwohner-Dorf, in dem sich die Heimstätte der Langnauer Tigers befindet, welche die Saison am Samstag in Chur eröffnen. Auf die Frage, wie es sich anfühle, wählen beide hohe Töne. Und auf jene, wie es sich für ihre Freundinnen im neuen Umfeld anfühle, schauen sie sich an und lachen. «Sie sind im Moment in Schweden», sagt Johan.

Die Szene heitert die Atmosphäre auf; die Furcht, etwas Falsches zu sagen, ist abgestreift. Rasch wird klar, dass es ihnen hervorragend gefällt, sie sich aber einen Wohnort mit direkter Bahnverbindung nach Bern wünschten. Tigers-Sportchef Marc Dysli, eben auf der Anhöhe angekommen, hat Münsingen und Konolfingen als ideale Standorte ausgemacht, weil sie vorerst in Thun arbeiteten; passende Wohnungen werden gesucht. Dienstags bis donnerstags stehen sie als Lageristen bei einer Rüstungsfirma im Einsatz. Was mit den erlernten Berufen nichts gemein hat. Der 29-jährige Anton war zu Hause für eine Versicherung, der 27-jährige Johan als Lehrer tätig.

Ankünfte wie jene der Samuelssons im Emmental haben sich hierzulande zigfach abgespielt. Oft werden Unihockeyaner aus dem Norden engagiert, nahe der Trainingshalle einquartiert und wegen fehlender Sprachkenntnisse mit Jobs ausgestattet, die kein Fachwissen erfordern. Speziell ist diese Geschichte deshalb, weil es sich bei Johan Samuelsson nicht um einen normalen Zuzug handelt – im Gegenteil: Der Blondschopf war im letzten Frühling der gefragteste Spieler auf dem Markt. Er ist zweifacher Weltmeister, seit fünf Jahren Captain des schwedischen Nationalteams, der weltweit beste Zweiwegcenter. In Schweden hatten ihm gut situierte Klubs den roten Teppich ausgelegt, wie es die Grasshoppers bei Kim Nilsson getan hatten. «Manchmal kann ich immer noch fast nicht glauben, dass ein Spieler von Johans Klasse nun bei uns spielt», wird Dysli später sagen.

Entstanden ist die Verbindung in der Saison 2008/2009 in Umea, gut 200 Kilometer nördlich von Sundsvall. Die Samuelssons, damals 21- respektive 19-jährig, hatten die Heimat ein erstes Mal verlassen, sich dem Spitzenklub Dalen angeschlossen. Dort trafen sie auf Dysli sowie die Brüder Christoph und Matthias Hofbauer; die Berner waren dem Ruf des ehemaligen Schweizer Nationaltrainers Urban Karlsson gefolgt, gehörten zu den Arrivierten. Aus Kollegschaft wurde Freundschaft, die Kontakte blieben über die gemeinsame Zeit bei Dalen bestehen. «Diese drei, das sind ganz gute Typen», sagt Anton Samuelsson – Johan nickt.

Konkret wurde die aktuelle Kooperation ebenfalls in Umea. Über die Weihnachtstage – Dyslis Partnerin stammt aus der Stadt – traf sich der Tigers-Sportchef mit Jonas Thomsson, welcher sich als erster Agent in der Branche bezeichnen lässt und die Interessen der meisten Topspieler vertritt. Dreieinhalb Monate später waren die Verträge unterschrieben – was bei Dysli für weihnächtliche Gefühle sorgte. Johan Samuelsson lässt denn auch durchblicken, wie wichtig Dyslis Rolle beim Transfer war. «Wir kannten nur ihn, dafür gut – Marc ist unsere Komfortzone.» Wiler-Ersigen habe ebenfalls Interesse bekundet, hält er fest. Explizit sagt er nicht, weshalb der Entscheid zugunsten der Tigers ausgefallen ist. Es ist jedoch zu spüren, dass es mit dem Bruder zu tun hat, das Angebot der Langnauer dessen Transfer einschloss, die beiden auch ihren zweiten Auftritt in der Fremde gemeinsam bestreiten wollten.

Dreht sich das Gespräch um ihr neues Team, kommen sie ins Schwärmen. «Wie in einer Familie» fühle es sich an, sagt Johan. «Vor und nach jedem Training gibt hier jeder jedem die Hand. Wir kannten das nicht, merken aber bereits, wie es den Zusammenhalt stärkt», ergänzt Anton. «Die Mannschaft ist jung, aber es steckt sehr viel Talent in ihr. Wenn in einem Jahr jeder noch da ist, können wir sehr viel erreichen», meint Johan. Je länger der Jüngere spricht, desto stärker dringt durch, dass die Reise auch der Persönlichkeitsentwicklung dient. Er bezeichnet das Ganze als Abenteuer, erwähnt das schnelle, weniger taktiklastige Spiel in der NLA, welches ihm behage («In Schweden sind wir nahe am Schach»). Und er spricht vom Ziel, in der Schweiz als Englisch- und Sportlehrer zu arbeiten. «Ich muss nur noch Deutsch lernen. Im Training sprechen mit uns alle Deutsch; es fühlt sich sehr gut an.»

Für Anton steht die in ein paar Tagen geplante Ankunft der Familie im Zentrum, seine Freundin gebar Mitte Juli einen Buben. Wer sich vor Augen hält, wie angenehm das Leben für junge Eltern im Sozialstaat Schweden vergleichsweise ist, der staunt ob dieser Konstellation. Anton sagt dazu nur, «wir versuchen es hier, wir freuen uns beide». Er strahlt, und sofort wird klar, wie viel Herzblut in dieser Geschichte steckt.


Autor:in
Micha Jegge, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 16.09.2016
Geändert: 16.09.2016
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