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Verkehr: Auf dem Weg zu Tempo 30 mitten durch die Dörfer

Quelle
Berner Zeitung BZ

Im Aaretal wollen gleich drei Gemeinden die Ortsdurchfahrten verlangsamen. Ein Gerichtsurteil dürfte den Trend zu Tempo 30 auf Kantonsstrassen noch verstärken.

Julien Ott an der Hauptstrasse in Allmendingen: Die Lastwagen seien vor allem für die Schulkinder gefährlich, sagt er. (Fotos: Christian Pfander)
Renato Krähenbühl vor der Krone in Rubigen.
Beat Moser im Zentrum von Münsingen.

Wer den Kanton Bern, seine Landschaften und Städte kennen lernen will, der kann einfach der Kantonsstrasse Nummer 6 folgen. Sie beginnt in Moutier im Berner Jura. Via Biel führt sie durch das Seeland und dann nach Bern. Auf dem Weg nach Thun streift sie das Emmental und führt dann weiter den Thuner- und den Brienzersee entlang. Schliesslich endet sie am Grimselpass. Oder umgekehrt.

 

Ungefähr auf halbem Weg auf dieser «Route de Berne» tut sich gerade Bemerkenswertes. Hier liegen die Gemeinden Allmendingen, Rubigen und Münsingen. Autofahrer können die drei Nachbardörfer noch mit Tempo 50 passieren – falls nicht gerade Stau herrscht. Doch das wird sich ändern. Das Aaretal ist ein Tempo-30-Hotspot. In allen drei Orten könnte auf der Kantonsstrasse bald Tempo 30 statt Tempo 50 gelten. Entschieden ist die Sache in Münsingen.

 

Tempo 30 in den Quartieren ist heute gang und gäbe. Für die Hauptstrassen gilt das nicht. Vergangenes Jahr noch wollte eine Gruppe bürgerlicher Grossräte erreichen, dass keine Kantonsstrassen mehr auf Tempo 30 umgerüstet werden dürfen. Ihr Anliegen war chancenlos. Und nun gibt es immer mehr Gemeinden, die mit langsameren Ortsdurchfahrten liebäugeln. Das grosse Vorbild ist immer noch die Gemeinde Köniz, die 2005 den Anfang machte. Zwei Urteile des Bundesgerichts aus dem vergangenen Jahr dürften den Trend verstärken. Dies zeigt der Fall Belp.

 

«Man muss jeden Fall individuell beurteilen», sagt der bernische Verkehrsdirektor Christoph Neuhaus (SVP). Aber wenn der Verkehr stocke und zu viel Lärm mache, komme man bald einmal auf eine tiefere Geschwindigkeit.

 

Weniger Lärm, flüssigerer Verkehr, aber auch mehr Sicherheit – diese Gründe für Tempo 30 werden auch in Allmendingen, Rubigen und Münsingen genannt, an der Kantonsstrasse Nummer 6.

 

Allmendingen: Kampf gegen den «Wahnsinn»

Julien Ott steht an der Hauptstrasse, an ihm brausen Autos vorbei und regelmässig auch Lastwagen. Der Lärmpegel ist hoch, Ott, pensionierter Einwohner von Allmendingen, muss laut sprechen, damit man ihn versteht. So geht es ihm gerade: Er fühlt sich nicht verstanden. Ott möchte, dass auf der Kantonsstrasse Tempo 30 eingeführt wird. Schon an der letzten Gemeindeversammlung habe er darüber reden wollen, doch da sei ihm das Wort abgeschnitten worden. Also startete er eine Petition, sammelte 70 Unterschriften – und dann erhielt er Anfang April diese Mail.

 

Der Allmendinger Gemeinderat dankt Ott darin für sein Engagement, denkt aber darüber nach, an der nächsten Gemeindeversammlung auch «weitere Varianten wie Tempo 40» zu diskutieren. So kommt es auch, am 6. Juni werden die Stimmbürger in einer Konsultativabstimmung über die Varianten Tempo 30, Tempo 40 oder Verkehrsberuhigung bei Tempo 50 abstimmen. «Dadurch entsteht eine demokratische legitimierte Entscheidung», so der Rat.

 

«So geht es einfach nicht», sagt aber Ott. Für ihn kommt nur Tempo 30 infrage. Die vielen Lastwagen von der nahen Kiesgrube, die durchs Dorf fahren. Der Fussgängerstreifen vor dem Schulhaus mit der kleinen Mittelinsel, auf der die Schüler manchmal warten müssen. Der fehlende Platz für einen Velostreifen. All das seien Argumente für Tempo 30. Man dürfe nicht vergessen, dass Lastwagen heute nicht mehr nur 2,30 Meter, sondern 2,50 Meter breit seien. Julien Ott sagt: «Es ist ein Wahnsinn hier.»

 

Rubigen: Keine Zone, aber eine Signalisation

20 Sekunden. So viel Zeit verliere ein Autofahrer, wenn er nur noch mit Tempo 30 statt 50 durch Rubigen fahren könne, sagt Gemeindepräsident Renato Krähenbühl (BDP). Wobei: «Man kann ja selten mit 50 durchs Dorf fahren.» Der Rubiger Gemeinderat hat beim Kanton einen Antrag auf Tempo 30 auf der Kantonsstrasse gestellt. Auch ein Abschnitt beim Schulhaus soll umgerüstet werden. Auf eine Konsultativumfrage hat der Gemeinderat verzichtet. «Wir sind der Meinung, dass das in unserer Kompetenz liegt», sagt Krähenbühl. Von Widerstand hat er denn auch nichts gehört, im Gegenteil.

 

Tempo 30 sei immer wieder ein Thema im Dorf – zuletzt vor zwei Jahren, als es auf einem Fussgängerstreifen zu einem Unfall gekommen sei. Zuerst habe sich der Elternrat gemeldet, dann habe die Gemeinde zusammen mit dem Kanton einen Informationsanlass durchgeführt. «Das Echo war positiv.» Krähenbühl ist überzeugt: Die Verkehrssicherheit werde wesentlich erhöht – auch weil der Bremsweg bei Tempo 30 gegenüber Tempo 50 halbiert werde. Zudem werde die Lärmbelastung reduziert.

 

Umstritten ist in Rubigen höchstens die Aufhebung der Fussgängerstreifen, die normalerweise für Tempo-30-Zonen gilt. «Deshalb haben wir beantragt, dass bei uns keine Zone eingerichtet wird, sondern lediglich eine Signalisation von Tempo 30.» Damit würden Streifen und auch der Vortritt auf der Hauptstrasse bleiben. Der Kanton prüft dieses Anliegen. Krähenbühl hofft auf einen positiven Entscheid, weil die Gemeinde den Gasthof Krone direkt an der Hauptstrasse erhalten und ein Dorfzentrum errichten möchte. «Da passt Tempo 30 besser.» Beim Schulhaus sei es wichtig wegen der Kinder.

 

Münsingen: «Langsamer schneller ans Ziel»

Während Allmendingen noch diskutiert und Rubigen wartet, herrscht in Münsingen Klarheit: Auf der sanierten Ortsdurchfahrt wird Tempo 30 gelten. In knapp zwei Jahren sollen die Bauarbeiten beginnen. Für die notorisch verstopfte Strasse sei das – zusammen mit der neuen Entlastungsstrasse – die beste Lösung, sagt Gemeindepräsident Beat Moser (Grüne). Der Kanton und die Gemeinde sind sich einig. Auch auf der Tägertschistrasse wird das Tempo reduziert. «Langsamer schneller ans Ziel» sei das Motto.

 

Moser sitzt zusammen mit Roland Mett in seinem Büro. Mett ist Bereichsleiter Tiefbau und Infrastruktur, vor ihnen auf dem Tisch liegt das «Betriebskonzept» für das neue Verkehrsregime. Es beinhaltet nebst der Entlastungsstrasse und den Tempo-30-Zonen Ampeln für die Verkehrsdosierung, Zählstellen und eine «Umweltspur» für Bus und Velo. «Mit flankierenden Massnahmen wird der Verkehr auf der Ortsdurchfahrt um ein Drittel reduziert», sagt Mett. So könne auch der öffentliche Verkehr pünktlich sein und die Anschlüsse gewährleisten. Heute sei das oft nicht der Fall.

 

Auf der Ortsdurchfahrt sei ganz schön viel los, sagt Moser. Busse, Autos, Velos, Fussgänger seien unterwegs, Geschäfte säumten die Strasse, es gebe viele Hofzufahrten. Je nach Höchstgeschwindigkeit gälten unterschiedliche Sichtweiten – und da biete Tempo 30 einen grossen Vorteil: Es sind mehr Parkplätze entlang der Hauptstrasse möglich. Deshalb stünden auch die Gewerbetreibenden hinter der Massnahme. «Tempo 30 hat für viele Beteiligte Vorteile.»

 

Tempo 30 da und dort

Gemäss der offiziellen Liste des Kantons gibt es derzeit auf den Berner Kantonsstrassen zwanzig Tempo-30-Zonen. Hinzu kommt eine Reihe von Abschnitten, die nicht als Zonen definiert sind, sondern auf denen Tempo 30 lediglich signalisiert ist. Vor einem Jahr rechnete der Kanton vor, dass alle Tempo-30-Regimes auf dem 2100 Kilometer langen Kantonsstrassennetz zusammen 9,7 Kilometer lang sind. Aktuelle Zahlen konnten nicht ermittelt werden. Sicher ist, dass zuletzt neue Tempo-30-Abschnitte auf Berner Kantonsstrassen hinzukamen. So wurde vergangenes Jahr auf der Ortsdurchfahrt von Lauperswil Tempo 30 signalisiert. Und auch in Worb wurde Tempo 30 eingerichtet – auf Strassen, die nun aber an die Gemeinde übergehen. Anders liegt der Fall in Frutigen: Dort hatten sich der Gemeinderat und der Kanton für Tempo 30 ausgesprochen, doch das Projekt scheiterte am Widerstand aus der Bevölkerung. Nun kommen laufend neue Tempo-30-Regimes hinzu wie in Münsingen oder Belp. In Huttwil sind gerade die Bauarbeiten für eine Tempo-30-Zone in der Ortsdurchfahrt im Gang. Weitere Projekte betreffen laut Kanton die Ortschaft Münchringen, die Bahnhofstrasse Aarberg, das Ortszentrum Brügg, die Ortsdurchfahrt Laupen und das Zentrum Lyss. Zudem hat die Stadt Bern beim Kanton ein Gesuch für Tempo 30 auf der Weissensteinstrasse eingereicht. Sie führt als Grund für Tempo 30 auch den Klimaschutz auf. (rei)


Autor:in
Johannes Reichen, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 28.05.2019
Geändert: 28.05.2019
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