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Während andere schliessen: Das Grosshöchstetter Stoff Paradies feiert 30 Jahre
Mit Meldungen von Schliessungen machte das Grosshöchstetter Gewerbe in der letzten Zeit immer wieder von sich reden. Doch es scheint auch anders zu gehen: Das "Stoff Paradies" im Dorfzentrum feierte letzten Monat Jubiläum. Seit 30 Jahren verkaufen Edith Stuker (77) und ihre Schwiegertochter Karin Stuker (52) dort Stoffe, Knöpfe, Nadeln und was es sonst noch alles fürs Nähen braucht.
Das Schaufenster und der Ständer vor dem Laden an der Dorfstrasse 1 sind zum Jubiläum festlich geschmückt. Im Laden schauen an diesem Nachmittag etliche Kund:innen – mehrheitlich Frauen – vorbei, kaufen Nähartikel, bringen Kleider zum Flicken oder holen wieder Heiles ab. Im vorderen Teil des Geschäfts hat es vor allem eine grosse Auswahl an bunten Stoffen. Über wenige Treppenstufen gelangt man in den hinteren Teil des Ladens, wo man etwa Faden, Reissverschlüsse und Flicke findet. Abgetrennt durch einen Vorhang ist dort auch das Nähatelier, wo vor allem Änderungen an Kleidungsstücken gemacht werden. Hier lagern auch Nähmaschinen, die im Stoff Paradies für die Reparatur in Thun abgegeben und danach wieder abgeholt werden können.
"Das war früher ein Tenn hier", sagt Edith Stuker, gelernte Damenschneiderin und Geschäftsmitinhaberin. Das Ladenlokal hat sie mit Hilfe der Familie vor über 30 Jahren selber ausgebaut. Schnell ist das Fotoalbum hervorgeholt. Auf einem der Bilder sieht man Edith Stuker, die in Arbeitskittel, Schutzausrüstung und Ballerinas einen Presslufthammer bedient. Auf einem anderen steht sie auf einer Leiter, daneben ihr Vater, beide in Malerkleidung und mit Farbrollen, dahinter eine weisse Wand in Arbeit.
Vier Wechsel im Löwen erlebt
Ihr Geschäft eröffnete Stuker, drei Jahre vor dem Umzug an den heutigen Standort, in Konolfingen. "Im Februar 1992 haben wir den Laden in Grosshöchstetten eröffnet", sagt sie. Damals hätte dieser nur aus dem vorderen Teil bestanden. Später bekamen sie die Möglichkeit, nach hinten zu erweitern. Ausser dem und dass es bei der Ware mehr Auswahl gebe, als früher, habe sich aber seit den Anfängen nicht viel geändert im Laden. Rundherum sieht es etwas anders aus: "Im Löwen gab es vier Wirt:innenwechsel seit wir hier sind", sagt Stuker. Zudem sei im Nachbarlokal später noch das Garngeschäft "Wullechratte" eingezogen und statt Willi Biser mit seinen Haushaltsapparaten der Unverpackt-Laden "Kicherärbsli".
Karin Stuker, ebenfalls gelernte Damenschneiderin, war von Anfang an als Mitarbeiterin dabei. Heute ist vor allem sie es, die im Laden steht und Kleideränderungen macht. Edith Stuker macht das Büro und kommt, wenn es sie braucht. Ihr Mann Peter Stuker (79) ist ebenfalls Inhaber. "Ich lasse die Frauen machen", sagt er aber zu seiner Rolle. Er hatte früher eine Autogarage in Konolfingen. Ob die Schwiegertochter den Laden einst übernehmen wird, ist noch offen.
Viel auswärtige Kundschaft
Laufen tut er jedenfalls. "Wir werden nicht reich, aber es geht und wir sind zufrieden", sagt Edith Stuker. Neben Privatkund:innen kaufen auch die örtlichen Schulen im Stoff Paradies ein. "Es ist schön, wenn sie uns berücksichtigen." Vom Kund:innenmangel, der dem Restaurant Sternen, dem Gasthof Löwen, der Bäckerei Berger und Willi Biser zum Verhängnis wurde, habe sie nichts gemerkt. Und deren Schliessungen hätten wenig Einfluss auf sie. "Wir haben viele auswärtige Kund:innen." Mit Worb und Oberdiessbach seien in der Vergangenheit gleich zwei Stoffgeschäfte in der Umgebung zugegangen. "Zum Teil kommen Leute von dort zu uns." Insgesamt kämen mehr Kund:innen als früher. Die Corona-Zeit habe bei ihnen keinen Einfluss auf die Nachfrage gehabt.
Im Durchschnitt belaufe sich ein Einkauf auf 20 bis 25 Franken. "Der Renner ist es aktuell, Jerseyhösli für Kleinkinder zu nähen", sagt Karin Stuker. Zu Demonstrationszwecken würden sie jeweils ein paar Modelle nähen und diese im Laden ausstellen. "Dann läuft auch der Stoff." Für Masken hätten sie in der letzten Zeit auch viel Stoff verkauft. Besonders gefragt sind zudem Änderungen. "Gestern kamen zwanzig Änderungen rein", so Edith Stuker. Oft seien es Lieblingsstücke, die zu flicken es sich eigentlich kaum mehr lohne. "Aber die Leute sagen es sei halt die Lieblingsjeans."
"Es macht uns einfach Spass"
Neues nähten sie kaum im Atelier. Dafür aber gerne privat. "Ich nähe alles Mögliche. Zum Beispiel Pyjamas und Shirts für meinen Mann. Kürzlich habe ich ihm auch einen neuen Hemdkragen gemacht", sagt Stuker, die an diesem Tag einen Pullover trägt, den die Schwiegertochter genäht hat.
Man spürt, dass die beiden Frauen den Laden mit Leib und Seele betreiben. "Es macht uns einfach Spass. Und auch die Kund:innen haben Freude", sagt Edith Stuker, der das Bedienen das Liebste im Laden war. Immerhin sei es ja ein teures Hobby. "Ein Reissverschluss kostet manchmal mehr als eine neue Jacke." Aber dafür habe man eine ganz andere Beziehung zu etwas Selbstgemachtem. "Da reut es einem mehr, es wegzuwerfen."
Erstellt:
07.03.2022
Geändert: 08.03.2022
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