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Walkringen - Die Exoten fallen nicht mehr auf

Das Rüttihubelbad ist seit 20 Jahren ein von der Anthroposophie geprägtes Haus. Die anfängliche Skepsis konnte mehr und mehr abgebaut werden. Die weltoffene Institution beherbergt verschiedenste Leute.

Anna Vitek wird als Eckpfeiler des Rüttihubelbads beschrieben. Am Dienstag wurde sie 98 Jahre alt. Stationen ihrer Jugend waren Basel, ein böhmisches Dorf und Zürich. Ihre letzte Station ist das Alters- und Pflegeheim im Rüttihubelbad bei Walkringen. Ihr Zimmer ist klein. Es hat acht Ecken, zwei davon sind rechte Winkel. «Das Zimmer ist zwar klein; aber es ist ein Bijou – 1. Rang Loge», meint Anna Vitek und lacht. Zum Zimmer gehört ein kleiner Erker mit drei Fenstern. «Morgensonne, Mittagssonne, Abendsonne», erklärt sie mit erhobenem Zeigefinger. Am 1. November 1991 ist sie im Alterswohn- und Pflegeheim eingezogen. Sie war die erste Bewohnerin. Das Areal Rüttihubelbad war damals vor allem eines, eine Baustelle. Das Altersheim war das erste Gebäude, das fertig gestellt wurde.

Anna Vitek war eine Frau der ersten Stunde, was das Rüttihubelbad betrifft. Anfang der Achtzigerjahre fanden im Ferienheim Bühl oberhalb Wikartswil Tagungen der Christengemeinschaft Bern statt. Ein Leiter hörte davon, dass das Rüttihubelbad zu kaufen sei. So hat für das Haus, das heuer 250-jährig wird, ein neues Kapitel begonnen. Der «Anthroposophische Zweig» habe damals nach Gönnern gesucht, erklärt Anna Vitek. Weil sie bis 73-jährig gearbeitet hat, konnte sie ihre Pensionskasse auszahlen lassen und einen Teil für den Bau des Rüttihubelbads einsetzen. Neben den Steiner-Schulen sollte dort ein Ort für die älteren Menschen entstehen, lautete das Ziel.

Grosse finanzielle Sorgen

Das Geld der Gönner war nötig, denn was beim altehrwürdigen Bad entstehen sollte, übertraf die Dimensionen des einstigen Baus. Heute beläuft sich der Versicherungswert auf rund 68 Millionen Franken. Ein dunkles Kapitel bilden die finanziellen Probleme Anfang der Neunzigerjahre, die das Vorhaben beinahe hätten scheitern lassen. Die beteiligten Banken verzichteten damals auf zehn Millionen Franken, Handwerker mussten sechs Millionen Franken ans Bein streichen. Zur endgültigen Rettung mussten fünf Millionen an Spenden gesammelt werden. «Dieses Ziel wurde sogar übertroffen. Die meisten Spender stammten aus dem anthroposophischen Umfeld», erklärt Jakob Reubi, der seit 1992 der Geschäftsleitung angehört. Als er ans Rüttihubelbad geholt wurde, waren 80 Prozent der Bauten fertig, sein Motto lautete «Das Beste aus dem machen, was vorhanden ist». «Wir mussten den Bau so billig wie möglich fertig stellen, damit endlich Geld in die Kasse fliesst.» Reubi will die Geschichte ruhen lassen, und betont, dass das Rüttihubelbad seit 1996 selbsttragend sei.

Nicht realisiert wurde damals das Kurbad. Heute ist darin die Ausstellung Sensorium zu sehen. Das eisenhaltige Wasser, das aus einer der drei Quellen sprudelt, wird heute als «Hübeliwasser» ausgeschenkt. Dass dereinst wieder ein Kurbad eröffnet wird, ist für den Geschäftsführer eher unwahrscheinlich: «Mit 34 Hotelzimmern könnten wir ein Kurbetrieb niemals auslasten. Als Seminarhotel erfüllt es heute seinen Zweck bestens.»

Hemmungen abbauen

Ein zweiter Umstand erschwerte der Stiftung Rüttihubelbad den Start: Steckt hinter dieser Anthroposophie eine Sekte? «Um Hemmungen abzubauen, wurde darauf geachtet, Personen aus der Umgebung anzustellen. Heute stammen 90 der 260 Beschäftigten aus den Gemeinden Walkringen und Worb», erklärt Jakob Reubi. «In Wikartswil hat jedes zweite Haus irgendeine Verbindung zum Rüttihubelbad.» Das Arbeitspensum der 260 Beschäftigten entspricht 160 Vollzeitstellen. Damit ist das Rüttihubelbad der grösste Arbeitgeber der Region.

«Die Stiftung Rüttihubelbad versteht sich als ein weltoffenes Kulturzentrum, das allen Denkrichtungen und Weltanschauungen geöffnet ist», steht im Leitbild der Stiftung. Erst im letzten Abschnitt wird die Anthroposophie erwähnt. Wie stark ist das Rüttihubelbad heute durch Rudolf Steiners Weltanschauung geprägt? «Gegen aussen fällt sicher das Demeter-Label bei den Produkten im Restaurant auf, oder die Themen im Bereich Bildung. Generell macht sich die Anthroposophie hier im Umgang mit den Menschen bemerkbar. Verschiedenste Menschen leben hier zusammen, niemand wird ausgegrenzt», meint Reubi, der selber nicht der anthroposophischen Gesellschaft angehört. Am meisten präge diese Weltanschauung wohl das Alters- und Pflegeheim, weil dort viele Anthroposophen leben, sagt Reubi. Anna Vitek beispielsweise, badet einmal wöchentlich nach einer Rezeptur Rudolf Steiners. «Ins zunächst kalte Wasser wird ein schaumig geschlagenes Ei und Milch gegeben. Dann wird allmählich warmes Wasser eingelassen», erklärt sie. In diesem Nährbad tauche sie dann jeweils ganz ab, damit das Bad überall wirken könne. Im Alters- und Pflegeheim gibt es keine getrennten Abteilungen; so wohnen Pflegebedürftige, rüstige Senioren und Personen, die wegen ihrer psychischen Erkrankung keinen Heimplatz finden, nebeneinander. Grosse Sprünge kann Anna Vitek nicht mehr machen. Dank der alternativen Medzin konnte die Wassersucht gelindert werden, doch das Herz ist schwach. Oft ist sie in ihrem Zimmer. «Ich bete jeden Tag; und zwar laut», betont sie. «Ein gefühlvoller Mensch braucht etwas Sakrales.» Sie wisse, dass das nicht von allen Anthroposophen gerne gesehen werde. «Rudolf Steiner selbst hat ‹Die Christengemeinschaft› gegründet. Leider gibt es immer weniger richtige Anthroposophen, so wie Rudolf Steiner einer war.»

Sie kannte Rudolf Steiner persönlich

Es leben nicht mehr viele Menschen, die den Begründer der Anthroposophie persönlich kannten; Anna Vitek gehört zu diesen. Während des Ersten Weltkriegs hatte Rudolf Steiner in Basel gewohnt. Er kam an Sonntagnachmittagen zu Besuch und brachte Anna Viteks Vater, einem Apotheker, die Anthroposophie näher. Auf die Frage, was für sie die Anthroposophie bedeute, rezitiert sie ein Gedicht:

Das Schöne bewundern,
Das Wahre behüten,
Das Edle verehren,
Das Gute beschließen:
Es führet den Menschen
Im Leben zu Zielen,
Im Handeln zum Rechten,
Im Fühlen zum Frieden,
Im Denken zum Lichte;
Und lehrt ihn vertrauen
Auf göttliches Walten
In allem, was ist:
Im Weltenall,
Im Seelengrund

Anna Vitek erinnert sich an eine Besichtigung des ersten Goetheanums in Dornach, dem Sitz der anthroposophischen Gesellschaft. Da fragte sie als kleines Mädchen, warum die Wände in verschiedenen Farbtönen gestrichen seien. «Überlege, mein Mädchen», soll Steiner zu ihr gesagt haben. «Farben können Töne sein. Helle Farben, hohe Töne; dunkle Farben, tiefe Töne.»
Ab dem Samstag kann der anthroposophische Bauimpuls, den das Rüttihubelbad erfahren hat, in einer Ausstellung betrachtet werden. Zu sehen sind unter anderem Modelle und Zeichnungen Rudolf Steiners. «Wir wollen zeigen, dass es Gründe gibt, die für die organische Architektur sprechen. Das ist nicht einfach Willkür», sagt Bart van Doorn, der die Ausstellung zusammenstellt. Der Grundgedanke laute, die Architektur analog zur Natur und zum menschlichen Wesen zu betrachten. Das zu erklären, sei nicht einfach, weiss van Doorn. «Am Festanlass wird sich ein Architekt zum organischen Bauen äussern. Dem Musiker, der sein Referat umrahmen wird, gab er den Auftrag, einen rechten Winkel zu spielen.»

[i] Ausstellung «250 Jahre Tradition, 20 Jahre Stiftung Rüttihubelbad»: Ab Samstag, 19. August, täglich von 10.00 bis 17.00 Uhr. Eintritt frei. Informationen zu weiteren Anlässen: www.ruettihubelbad.ch

Autor:in
Bruno Zürcher, Wochen-Zeitung
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Erstellt: 17.08.2006
Geändert: 17.08.2006
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