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Worb: Tiktok, psychischer Stress und verstopfte Klos

LetztenFrühling führte Oliver Rüesch, Schulleiter des Oberstufenschulhauses Worbboden, eine grosse Umfrage durch. Er hat sie ausgewertet und festgestellt: «Den Schüler:innen geht es psychisch schlechter als auch schon.» Er vermutet, dass das zumindest teilweise an sozialen Medien liegt. Klare Massnahmen sollen die Jugendlichen stützen.

Oberstufenschulleiter Oliver Rüesch vor der sogenannten Lernwabe: «Ich möchte, dass alle Jugendlichen gern zur Schule kommen können!» (Foto: cw)

Corona, Ukraine, Klima, Nahostkrise: Die Nachrichten sind trüb. Und durchaus genug, um zu erklären, warum es den Schüler:innen im Oberstufenschulhaus Worbboden «schlechter geht als auch schon». Das jedenfalls ging Schulleiter Oliver Rüesch mehrmals durch den Kopf, als er die grosse Schüler:innen-Umfrage auswertete. Letzten Frühling befragte er 281 Schüler:innen aus den Oberstufenklassen zu zehn Themen rund um ihren Schulalltag und ihr persönliches Wohlbefinden. 

 

Umfrage verrät vieles

Spannend findet Rüesch unter anderem die Ergebnisse rund um die psychische Gesundheit und den Umgang mit Gewalt: Tiktok und Kompanie hätten offenbar sogar auf das schulische Wohlbefinden grossen Einfluss, lautet sein Fazit. Dafür zeigt er sich erleichtert, dass der Gebrauch von Drogen an der Oberstufe kein grosses Thema ist (BERN-OST berichtete). «Dass der Konsum verglichen mit dem deutlich höheren Schweizer Durchschnitt so tief ist, hat mich sehr gefreut.»

 

Erfreulich wenig Suchtmittel konsumiert

Konkret: 92 von den 99 Jungen und 111 von den 115 Mädchen, die auf die Frage «Konsumierst du Suchtmittel» antworteten, gaben an, «gar keine Suchtmittel» zu konsumieren. Einen Cannabis-Konsum gaben 3 Jungen und 2 Mädchen an. Alkohol konsumieren offenbar 6 Jungen und 1 Mädchen; Tabak laut eigenen Angaben 4 Jungen und 3 Mädchen.

 

Was den Suchtmittelkonsum anbelange, setze er im Oberstufenzentrum weiterhin auf «Null-Toleranz», kommentiert Rüesch dieses Ergebnis. «Im Vergleich zum schweizerischen Durchschnitt sind das aber hervorragende Werte, mit denen wir sehr zufrieden sein können.»

 

Dafür psychisch nicht rundum rosig unterwegs

Zu denken gaben Oliver Rüesch hingegen die Ergebnisse auf Fragen rund um das psychische Wohlergehen: In der Umfrage gaben zwar 83 Prozent der Jugendlichen an, dass sie sich im Oberstufenzentrum ‘wohl’ oder ‘eher wohl’ fühlen. Das sei positiv, findet Rüesch: «Dennoch gibt mir zu denken, dass sich drei Prozent ‘überhaupt nicht wohl’ und 14 Prozent ‘eher unwohl’ fühlen.»

 

Immerhin gehe es dabei um 35 Jugendliche, die nicht unbelastet durch den Schulalltag gehen können, findet Rüesch: «Auch wenige sind zu viel.» Sein Ziel wäre, dass alle gern zur Schule kommen und sich dort wohl fühlen.

 

Tiktok und Kompanie: Sehr hohe Anforderungen…

Oliver Rüesch suchte, welche Gründe dafür verantwortlich sein könnten. Vor allem trieb ihn die Frage um, warum sich die Schülerinnen insgesamt als weniger glücklich bezeichnen als die Schüler. Und er fand einen möglichen Grund: Tiktok und Kompanie. «Meiner Ansicht nach ist das zumindest ein spannender Aspekt», erklärt Rüesch.

 

Der Konsum sozialer Medien sei nämlich bei Mädchen wesentlich grösser als bei Jungen. Diese halten es eher mit Gamen. Die Krux: In den sozialen Medien laufe es ständig darauf hinaus, sich zu messen. «Viele junge Frauen hegen ohnehin schon hohe Erwartungen an sich selbst. Kommen dann noch äussere Erwartungen dazu, wachsen diese zu einem immensen Anforderungsberg zusammen.» Die Chancen, dass jemand derart überhöhte Ansprüche nicht erfüllen könne, seien gross. «Und diese Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität erzeugt Schmerz und Scham.»

 

… und rätselhafte Challenges

Soziale Medien erklären Rüesch zumindest teilweise die psychische Zusatzbelastung der Mädchen. Sie geben ihm aber auch eine Erklärung für die rätselhaften Vorfälle, bei denen vor allem die Buben aktiv werden: Ab und zu werden die Bubenklos im Schulhaus verstopft – im Osten von Bern übrigens ebenso wie im Westen und vielerorts in der Schweiz. Rüesch hat mit seinem Team gerätselt, was der Grund dafür sein könnte. Und er hat vielleicht einen Grund gefunden: Tiktok-Challenges.

 

Das Ergebnis könne zwar als Vandalismus eingeordnet werden, sagt Rüesch. «Allerdings nicht in einer Form, die angezeigt werden müsste.» Schlimme Gewalt hingegen komme am Oberstufenzentrum nicht vor. Stattdessen stellt Rüesch sich in solchen Situationen persönlich vor jede Klasse, bittet um Mithilfe und ermutigt zur Zivilcourage.

 

Wichtig: Unterstützen und begleiten der Jugendlichen

Das passt zur Haltung der Schule, die sich seit zwei Jahren am Prinzip der Neuen Autorität orientiert. Rüeschs Ziel ist daher klar: «Eltern, Lehrer:innen und Schulleitung müssen das Lernen der Jugendlichen in den Mittelpunkt stellen und sich davon leiten lassen.» Mit Lernen meint er das schulische Lernen, aber auch die persönliche Entwicklung und das Lernen in Bezug auf das (Zusammen-)Leben. «Das bedeutet auch manchmal, eigene Interessen hintanzustellen. Und zuhören, aufeinander zugehen und von der Kompetenz der anderen profitieren.»

 

Falls Schulleiter Rüesch wieder eine Umfrage startet, wird er sie in genau gleicher Form durchführen: So kann er die Ergebnisse miteinander vergleichen. Und er hofft, dass dann alle Jugendlichen ankreuzen werden, dass sie sich am Oberstufenzentrum zumindest «eher wohl» oder gar «wohl» fühlen.

 

Zuversicht für die Zukunft vermitteln

Er hat einen Plan, wie er das erreichen will: «Wir arbeiten konsequent mit neuer Autorität und gehen unseren Weg weiter, den wir bereits eingeschlagen haben.» Alle Lehrer:innen, die Schulleitung, aber auch die Eltern seien immer wieder gefordert, die Jugendlichen zu unterstützen, zu begleiten, aber ihnen auch klar Grenzen zu setzen.

 

Es klingt überraschend einfach, wenn Oliver Rüesch sein Ziel formuliert: «Alle Erwachsenen arbeiten zusammen und unterstützen sich gegenseitig.» So gelinge es, den jungen Menschen Sicherheit und Zuversicht für ihre Zukunft zu vermitteln.

 

 

[i] So sah die Umfrage aus:

Im April 2023 wurden am Oberstufenzentrum Worbboden in einer Umfrage  281 Jugendliche zu zehn wichtigen Themen befragt: Umgang mit besonderen Herausforderungen; Umgang mit Gefühlen; Beziehung zu den Mitschüler:innen; Konsum von Suchtmitteln; Hauptsorgen; Freundschaft/Liebe/Sexualität; Verhalten/Probleme in der Schule; Regeln; Mitwirkung und Mut im Zusammenleben (Zivilcourage).

 

[ii] Neue Autorität

Neue Autorität ist ein systemischer Ansatz, der vom israelischen Psychologen Haim Omer entwickelt wurde. Er basiert auf sieben Säulen: Präsenz und wachsame Sorge; Selbstkontrolle und Eskalationsvorbeugung; Unterstützungsnetzwerke und Bündnisse; Protest und gewaltloser Widerstand; Versöhnung und Beziehung; Transparenz; Wiedergutmachungen.


Autor:in
Claudia Weiss; claudia.weiss@bern-ost.ch
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Erstellt: 02.01.2024
Geändert: 03.01.2024
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